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Politik: Notstand auf Russisch

Neues Anti-Terror-Gesetz hebelt Grundrechte aus

Zwei scheinbar Unversöhnliche fanden unverhofft zusammen: der erzkonservative Altstalinist Viktor Iljuchin, der für Russlands Kommunistische Partei in der Duma sitzt und dort dem Sicherheitsausschuss angehört, und die Menschenrechtlerin und Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, Ljudmila Alexejewa. Den Entwurf eines neuen Gesetzes zur Terrorismusbekämpfung bezeichneten beide als Angriff auf die Grundlagen der Verfassung. Die Vorlage, eingebracht von der Kremlpartei Einiges Russland, die in der Duma über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, hat es in der Tat in sich. Bisher sind nur Gewalttaten mit Gefahr für Leib und Leben sowie die Zerstörung von Eigentum als terroristische Tatbestände strafrechtlich relevant. Künftig soll dies auf alle Handlungen ausgedehnt werden, die „Einfluss auf die von den Machtorganen getroffenen Entscheidungen“ haben.

Das Gesetz, das schon in der kommenden Woche in erster Lesung verabschiedet werden soll, läuft bei Gefahrenstufe „Rot“ auf Notverordnungen hinaus: Die Geheimdienste können dann beliebig Telefone abhören und Festnetzanschlüsse und Handys sogar abschalten, den Verkehr nach Belieben einschränken und alle Menschenansammlungen verbieten. Zwar sollen die Ausnahmeregelungen maximal 60 Tage gelten. Alexejewa, die einen Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen in der Ukraine vermutet, fürchtet jedoch, sie könnten beliebig verlängert werden. „So lange, bis die Massen sich mit allem abgefunden haben“, sagte Alexejewa dem Sender Echo Moskwy.

Aufgeschreckt durch die extrem negative Reaktion der Öffentlichkeit versuchten kremlnahe Mitglieder des Sicherheitsausschusses wie Gennadij Gudkow inzwischen abzuwiegeln. Das Gesetz müsse nachgebessert werden. Die Vorlage sei aber „wichtig und richtig“. Russische Rechtsschutzorgane fordern schon länger eine neue Definition für Terrorismus und mehr Spielraum zu seiner Bekämpfung. Auch im Umgang mit den Medien, deren Rechte in dem Entwurf drastisch beschnitten werden. Schon nach dem Geiseldrama im Musical-Theater „Nord-Ost“ im Oktober 2002 wurden Terrorismus- und Pressegesetze verschärft. Details zu Anti-Terror-Operationen sind seither für die Berichterstattung tabu. Künftig sollen Journalisten bei akuter Gefahr nur noch „an eigens dazu bestimmten Orten arbeiten“ und nur offizielle Verlautbarungen veröffentlichen. Jede Interpretation der Geschehnisse wird für „illegal“ erklärt.

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