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Politik: NS-Zwangsarbeiter-Entschädigung: Miese (Zahlungs-)Moral - Der fortwährende Unwille der deutschen Wirtschaft für die Opfer zu zahlen (Kommentar)

Deutschland ist ein wirtschaftsfreundliches Land. Das hat historische Gründe: Das Wirtschaftswunder, das aus dem Trümmerland von 1945 eine Erfolgsrepublik machte, ist ein nationaler Gründungsmythos: wie wir wieder von ganz unten nach ganz oben kamen.

Deutschland ist ein wirtschaftsfreundliches Land. Das hat historische Gründe: Das Wirtschaftswunder, das aus dem Trümmerland von 1945 eine Erfolgsrepublik machte, ist ein nationaler Gründungsmythos: wie wir wieder von ganz unten nach ganz oben kamen. Deshalb passiert es hier zu Lande nicht oft, dass Regierung und Opposition, Kirchen und Verbände der Wirtschaft unisono einen Mangel an Moral bescheinigen. Und zwar zu recht.

Die hiesigen Unternehmen haben sich verpflichtet, fünf Milliarden Mark für die Zwangsarbeiter beizusteuern, die andere Hälfte zahlt der Staat. Das ist nur die halbe Wahrheit: Nach Steuern zahlt die Wirtschaft nicht die Hälfte der zehn Milliarden Mark, sondern nur ein gutes Viertel. Doch knapp zwei Milliarden Mark fehlen noch immer.

Zur Erinnerung: Fast fünfzig Jahre lang lautete die deutsche Rechtsposition: Zwangsarbeit war kein NS-spezifisches Unrecht, deshalb zahlen wir nichts. So, als wäre es eine Art deutscher Landessitte gewesen, Millionen von Zivilisten zu verschleppen, in Lager zu sperren und zu Sklavenarbeit zu zwingen. Diese Haltung änderte sich erst, als deutschen Firmen in den USA Klagen ins Haus standen - und dem deutschen Export nachhaltiger Imageschaden drohte. So kam die Sache in Bewegung. Heute wird im Auswärtigen Amt das Entschädigungsabkommen unterzeichnet. Jetzt fehlt nur noch eins: das Geld der Wirtschaft. Und das ist peinlich, nicht nur deutschen Politikern auf Auslandsreisen.

Unternehmerverbände haben nun einen Entlastungsangriff gestartet. Firmen wie die Telekom waren zu NS-Zeiten in Staatsbesitz, heute sind sie privatisiert. Diese Unternehmen, sagen nun BDA, DIHT und BDI, sollen für die Wirtschaft zahlen dürfen. Dabei geht es um mehrere hundert Millionen Mark. Finanzminister Eichel meint hingegen, dass Telekom und Sparkassen für den Staat zahlen sollen, weil nicht das Heute, sondern das Früher zählt - ein Standpunkt, der beim Thema Zwangsarbeit nicht ganz abwegig ist.

Aber das ist nicht das Entscheidende. Ein wasserdichtes Kriterium zu finden, wer wieviel zahlen soll, ist ohnehin unmöglich. Viel wichtiger ist: Die gesamten Entschädigungen und Reparationen für den NS-Terror hat bisher allein der Staat bezahlt. Die Unternehmen haben sich - von sehr wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen - vornehm zurückgehalten. Jetzt soll die deutsche Wirtschaft ein Viertel der Entschädigungs-Summe zahlen. Auch das ist noch zu viel, sagen jetzt BDI, DIHT und BDA, um so von der miesen (Zahlungs-)Moral der Unternehmen abzulenken. Die Haltung der Wirtschafsverbände ist kleinkrämerisch, ohne Sinn für historische Proportionen. Und sie verlängert die trübe deutsche Tradition, Zwangsarbeit imgrunde für eine unschöne, aber letzlich in Kriegszeiten doch läßliche Sünde zu betrachten.

Stefan Reinecke

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