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Politik: NS-Zwangsarbeiterentschädigung: "Niemand wird sich vom Grass-Aufruf betroffen fühlen" - Der Historiker Wolfgang Benz im Interview

Wolfgang Benz (59) ist Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.Die Evangelische Kirche hat Zwangsarbeiter beschäftigt.

Wolfgang Benz (59) ist Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

Die Evangelische Kirche hat Zwangsarbeiter beschäftigt. Ist das eine neue Erkenntnis?

Das ist vermutlich eine neue, weil das bisher so nicht artikuliert worden ist. Überraschend ist es aber nicht, denn die Historiker, die sich mit dem Thema Zwangsarbeiter beschäftigt haben, haben ja nachgewiesen, dass es keine Institution, keinen Betrieb gab, wo es keine Zwangsarbeiter gab. Man muss sich nur vor Augen halten, dass Kirchen auch wirtschaftliche Einrichtungen haben wie zum Beispiel Friedhöfe oder landwirtschaftliche Betriebe und auch diese Arbeiter ersetzen mussten, die im Krieg waren.

Bisher ist diese Tatsache nicht wahrgenommen worden, warum nicht?

Es gibt zu allem ein feststehendes Bild. Bei Zwangsarbeitern hat man die Großindustrie vor Augen. Dass aber auch auf der Alm in Oberbayern ein KZ-Häftling abgestellt wurde, der die Kühe melkte, das gehört nicht ins allgemeine Bild, ebenso wenig, dass kleine Betriebe sich um Zwangsarbeiter bemühten.

Die katholische Kirche hat betont, man werde sich nicht wie die evangelische am Fonds für NS-Zwangsarbeier beteiligen. Heißt das, in der katholischen Kirche gab es keine Zwangsarbeiter?

Nein, das heißt es nicht. Es heißt nur, dass man die Tatsache, dass es vermutlich auch in der katholischen Kirche Zwangsarbeiter gab, ignoriert. Es gibt - nicht nur bei den Kirchen, sondern im Allgemeinen - ein festes Ritual. Man sagt immer erst, es gab bei uns keine Zwangsarbeiter. Dann wird es nachgewiesen, und man sagt, die wurden uns aber aufgezwungen. Erst in der dritten Stufe kommt die Einsicht, ja, leider haben auch wir Zwangsarbeiter bschäftigt.

Günter Grass und andere haben dazu aufgerufen, jeder erwachsene Deutsche sollte 20 Mark für NS-Zwangsarbeiter spenden. Wie finden Sie den Vorschlag?

Das ist ein moralisch sehr angenehm berührender Vorschlag, nur leider hat er den Nachteil, dass sich niemand davon betroffen fühlen wird. Deshalb wird der Ruf ins Leere schallen und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack, weil jeder erwachsene Deutsche, also auch der Neunzehnjährige, fragt, was habe ich damit zu tun, dass mein Großvater in einer Zeit gelebt hat, wo es Zwangsarbeiter gab. Es ist eine moralische Geste, aber in der Praxis nicht umsetzbar, vielleicht sogar kontraproduktiv, weil sich die Mehrheit belästigt fühlen wird.

Kann der Aufruf eine neue Debatte über den Umgang mit dem NS-Regime entfachen?

Die Debatte ist seit langem im Gange, und das bleibt sie auch, dazu brauchen wir diesen Aufruf nicht. Die Leute werden eher zur Tagesordnung übergehen, weil sie sagen, wenn die großen Firmen schon nicht zahlen, warum sollten wir das dann tun? Zudem: Warum sollte ein 18-Jähriger eine größere Moral entwickeln als eine Konzernleitung, die aus ihrem Gewinn lediglich einen Bruchteil abführen soll?

Die Evangelische Kirche hat Zwangsarbeiter besch&a

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