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Juristen als Sachverständige. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem und der Staatsrechtler Matthias Bäcker (von links nach rechts).

© dpa

NSA-Untersuchungsausschuss: Juristen kritisieren Vorgehen des BND als verfassungswidrig

Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss zweifeln Verfassungsrechtler an der Arbeitsweise des BND. Sie sehen dicke Lücken im Rechtsschutz der Bürger vor Ausspähung. Doch konkrete Verbesserungsvorschläge machen sie nicht.

Von Robert Birnbaum

Eigentlich hat Hans-Christian Ströbele jetzt nur zehn Sekunden Zeit, seine Frage zu stellen. Aber so ganz streng werden die Regeln im NSA-Untersuchungsausschuss im Moment noch nicht gehandhabt. Es ist schließlich die erste Anhörung des Gremiums, als Experten vorgeladen sind drei deutsche Spitzenjuristen, und überhaupt geht es noch nicht ans Eingemachte. Aber auf Ströbeles Gesicht hat sich, je länger die Herren vorgetragen haben, ein um so erfreuteres Strahlen ausgebreitet. Jetzt fasst er das Strahlen in eine Art Frage: Es sei doch eigentlich ein „ungeheuerlicher Vorwurf“, sagt er, dass drei so bedeutende Verfassungsrechtler die Arbeitsweise des BND für verfassungswidrig hielten?

Hans-Jürgen Papier widerspricht nicht wirklich. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sein früherer Richterkollege Wolfgang Hoffmann- Riehm und der Mannheimer Professor Matthias Bäcker sind als Sachverständige für die Rechtsgrundlagen bei Abhör-Aktionen der Geheimdienste geladen. Aber sie sollen die Abgeordneten nicht nur aufklären, sie sollen auch Vorschläge zur Verbesserung machen. Und zu so etwas lässt sich ein deutscher Staatsrechtslehrer nicht zweimal bitten.

Das geltende Recht stammt aus der "Postkutschenzeit"

Tatsächlich sehen alle drei Juristen dicke Lücken im Rechtsschutz der Bürger vor Ausspähung. Das geltende Recht, sagt der Sozialdemokrat Hoffmann- Riehm, stamme „letztlich noch aus der Postkutschenzeit“. Ebenso wie Papier, den die Union als Experten benannt hat, plädiert er für ein prinzipielles Umschwenken – weg von einem Recht, dessen Geltung an Landesgrenzen gebunden ist, hin zu einem umfassenden Schutzprinzip. Das Grundgesetz gelte nicht nur für Deutsche und nicht nur in Deutschland selbst, da sind sich alle drei einig.

"Menschenrechte stehen jedermann zu"

In dieser Logik wird dann freilich wirklich vieles zum Verfassungsbruch, was zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst bisher darf. Telefonate von Afghanen mit Afghanen in Afghanistan abhören, ohne dabei die strengen deutschen G-10-Vorgaben zu beachten? Geht nicht, sagt Papier, denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leite sich aus der Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes her. „Das sind Menschenrechte“, sagt Papier. „Die stehen jedermann zu.“

Stattdessen Afghanen in Afghanistan von der NSA abhören lassen und dann mit dem US-Partnerdienst die Informationen tauschen? Geht auch nicht, sagt Papier: An solchen Informationen hafte auf ewig der Makel der grundrechtswidrigen Beschaffung, und dieser Makel mache jeden weiteren Umgang mit solchem Wissen wieder selbst zum Verfassungsbruch. Woran übrigens auch Verträge etwa mit den USA nichts ändern würden: „Dann sind die eben auch verfassungswidrig.“

Viele forsche Worte, wenig Konkretes

Klare Worte, sollte man meinen. Doch so forsch und deutlich die Juristen in der Theorie formulieren, so zurückhaltend zeigen sie sich immer dann, wenn es konkret wird. Bäcker gibt zu, „dass die Ableitung von konkreten Handlungsanweisungen aus Schutzpflichten schwierig ist“. Papier erinnert sich, dass das Verfassungsgericht konkrete Aufträge an Regierung und Parlament immer „gescheut“ habe, weil es dann im Einzelfall eben doch kompliziert sei mit der Abwägung von Schutzpflichten hier und Allgemeinwohl-Interessen dort. Der Ex-Richter erinnert an den Extremfall des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Damals hatte das Karlsruher Gericht der Regierung in einer Eilentscheidung freie Hand gegeben, auf die Bedingungen der Terroristen einzugehen oder Schleyers Tod aus Staatsräson in Kauf zu nehmen.

Konkrete Fragen der Abgeordneten stoßen folgerichtig nur auf professorales Schulterzucken. Ob der Daten-Ringtausch des BND mit der NSA über die Auslandsabhörstelle im bayerischen Bad Aibling rechtens sei oder nicht, will etwa der Grüne Konstantin von Notz wissen. Das Juristentrio wehrt ab. „Da wüsste ich gern erst etwas mehr“, sagt Hoffmann-Riehm; die erste „Spiegel“-Geschichte über eine Massenüberwachung der Deutschen sei ja seines Wissens eine Ente gewesen. „Zunächst müssten Fakten her.“ Kollege Bäcker murmelt etwas von „sehr vielen Hypothesen“, mit denen man arbeiten müsste.

Auch die Antwort auf die Frage, wie es eigentlich um den Schutz der Mail bestellt sei, die der SPD-Obmann Christian Flisek seiner Frau von Berlin nach Passau schickt, blieb in Wenns und Danns stecken: Läuft die Mail über ausländische Server? Was, wenn Frau Flisek sie gar nicht zu Hause abruft, sondern im Urlaub in Indonesien? So viel wird aber klar im Europa-Saal des Bundestages: Ein Schutzauftrag ist leicht gefordert, doch schwer umzusetzen. Hoffmann-Riehm gibt den Ball ohnehin zurück. Gefragt seien nicht Juristen oder die Regierung, sondern der Gesetzgeber: „Das sind Sie!“

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