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Demonstrationen in München vor dem Oberlandesgericht.

© dpa

NSU-Prozess - der 177. Tag: Getroffen wurde in Köln vor allem die Psyche

Bereits an den vergangenen beiden Verhandlungstagen ging es im NSU-Prozess in München um den Nagelbombenanschlag in Köln. Und auch heute wird deutlich: Es wurde niemand getötet, aber zahlreiche schwer verletzt - vor allem seelisch, worunter sie bis heute leiden.

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München haben am Donnerstag weitere Zeugen berichtet, wie sie noch heute unter dem Anschlag vom 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße leiden. Er habe 15 bis 20 Prozent Gehörverlust, sagte der Restaurantbetreiber Ali Y., und erwähnte auch psychische Probleme. Der 45-Jährige hatte in dem türkischen Friseursalon gesessen, vor dem mutmaßlich der NSU-Terrorist Uwe Mundlos ein Fahrrad abgestellt hatte, auf dem in einer Box eine Nagelbombe versteckt war. „Es hat einen Knall gegeben, dann kam eine Druckwelle“, sagte Ali Y., „ich bekam Schmerzen, am meisten bei den Ohren“. Er habe noch Glück gehabt, weil der Friseur „zwischen mir und der Bombe gestanden hat“. Ali Y. erlitt ein  Knalltrauma und Kratzer im Gesicht von herumfliegenden Glassplittern. Und die Psyche wurde, wie bei allen bisher gehörten Opfern, getroffen.

Seit der am Dienstag begonnenen Befragung von Geschädigten sind immer wieder Geschichten zu hören über seelische Verletzungen, die lange  schmerzen. Ali Y. beschrieb Ängste, die er schon bekam, „wenn auf der Straße ein Fahrrad kam“. Das sei „paranoid“ gewesen. Es habe ihn auch getroffen, dass nach dem Anschlag die Umsätze in seinem Restaurant und in den Läden der Keupstraße überhaupt zurückgingen. „Die deutsche Kundschaft hat sich nicht getraut, zu uns zu kommen“, sagte er. Es sei erst einfacher geworden, als klar war, wer die Täter sind.

Nach dem Ende des NSU im November 2011 hatte sich anhand ihres zuvor unbekannten Bekennervideos herausgestellt, dass die rechtsextreme Terrorzelle für den Anschlag mit der Nagelbombe in türkisch geprägten Keupstraße verantwortlich war. Die Polizei hatte jahrelang den Verdacht gehegt, der türkische Friseur oder andere Bewohner seien in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen. Einige Opfer hatten hingegen der Polizei gesagt, es seien rechtsradikale Täter zu vermuten.

Ali Y.: "Ich denke eher, es hat einen rechtsradikalen Hintergrund"

Drei Wochen nach dem Anschlag hatte Ali Y. in einer Vernehmung geäußert, „man sagt, es wären die Türsteher, das glaube ich nicht. Ich denke eher, es hat einen rechtsradikalen Hintergrund, man will das Zusammenleben mit den Türken stören“. Die Polizei ermittelte auch in diese Richtung, kam aber nicht weiter. So blieb bis 2011 der Verdacht, das Verbrechen könnte von Leuten aus der Keupstraße mitverschuldet worden sein.

Von schweren psychischen Störungen berichtete auch die 39 Jahre alte Sermin S. Sie hatte hochschwanger in ihrer Wohnung an der Keupstraße den Anschlag erlebt. Der Sohn war auch dabei. „Es kam zu einem großen Knall, es war wie eine große Gasexplosion“, sagte sie jetzt. Die Mutter und das Kind blieben unverletzt, doch das Chaos auf der Straße quält sie noch heute. „Die Menschen waren in Panik, Verletzte, Blutüberströmte, die Menschen liefen herum.“ Sie habe „andauernd gezittert“ und sei nicht in der Lage gewesen, zu sprechen. Ein Krankenwagen brachte sie in eine Klinik. Dort stellte sich heraus, dass die Schwangerschaft nicht beeinträchtigt war. Allerdings musste Sermin S., die noch in Pantoffeln auf die Keupstraße gelaufen war, zu Fuß wieder nach Hause. Sie hatte kein Geld dabei und ging etwa sechs Kilometer zur Wohnung zurück.

Sermin S. leidet bis heute unter Angstzuständen

Ihr zweites Kind kam 18 Tage vor dem berechneten Termin zur Welt, war aber gesund. Doch der Mutter machten mehr und mehr Angstzustände zu schaffen. „Ich konnte nachts nicht schlafen“, berichtete sie am Donnerstag, „wir wussten nicht, wer die Täter waren, es war klar, dass es sich um eine Feindschaft handelte, aber warum wussten wir nicht“. Im Februar 2011 erlitt Sermin S. bei einem Kinobesuch eine Panikattacke und musste ins Krankenhaus. Sie wird auch jetzt noch psychotherapeutisch behandelt. Sie könne sich nicht „in eine Gesellschaft begeben, wo viele Menschen sind“, sagte sie. Die Ängste kämen in Bussen, in der U-Bahn, in Aufzügen. Da sei es schon ein großer Erfolg, dass sie sich jetzt im Gerichtssaal befinde.

Ein weiterer Zeuge, der robust wirkende Ertan T., scheint den Anschlag psychisch besser überstanden zu haben. Aber er berichtete von seinem Freund Mohammed A., der im Friseurladen gearbeitet hatte. Er habe sich vor zweieinhalb Jahren „erhangen, weil er viele Probleme hatte, das mit dem Anschlag kam noch dazu“.

Der 6. Strafsenat wird in den nächsten Wochen weitere Opfer des Anschlags in der Keupstraße hören. 22 Menschen wurden am 9. Juni 2004 geschädigt. Die Bundesanwaltschaft sieht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe bei diesem Fall genauso als Haupttäterin wie bei den zehn Morden des NSU und den anderen Verbrechen. Dazu zählt auch ein weiterer Sprengstoffanschlag in Köln. Im Januar 2001 war in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse ein Sprengsatz hochgegangen, den mutmaßlich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in eine Christstollendose eingebaut hatten. Einer der beiden soll sie in dem Geschäft stehen gelassen haben. Bei der Explosion erlitt eine Tochter des Einzelhändlers schwere Verletzungen.

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