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Politik: „Ökologie ist kein Luxus“

Umweltminister Jürgen Trittin über die Chancen des Weltgipfels in Johannesburg – und wie die deutsche Delegation klimafreundlich fliegt

Nicht nur Europa bringt frische Katastrophenerfahrungen mit zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg, der an diesem Montag beginnt. Wird sich das positiv auf die Verhandlungsbereitschaft auswirken?

Die Bundesregierung bemüht sich nicht erst seit der Hochwasserkatastrophe darum, in Johannesburg etwas zu erreichen. Aber diese Häufung von Unwetter-Katastrophen ist für alle eine Mahnung, dass es auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit richtig ist, die Umwelt zu schützen. Wir müssen uns endlich von der Idee befreien, dass Ökologie Luxus sei. Für viele Länder ist es eine Existenzfrage, dass sie ihre natürlichen Ressourcen nutzen können. Daran wird sich auch entscheiden, ob es uns gelingt, die Zahl der Armen – also derjenigen, die pro Tag weniger als einen US-Dollar zur Verfügung haben – bis 2015 zu halbieren.

Wie kann man das erreichen?

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist der Zugang zu sauberem Wasser und die Versorgung mit Strom. Kein Wasser zu haben ist so ähnlich, wie keine Luft zum Atmen zu haben! Und wer keinen Stromanschluss hat, kann nicht aktiv an der Globalisierung teilhaben. Wenn aber alle Menschen Computer, Kühlschränke, Fernseher und Autos haben, und für deren Betrieb genauso viele endliche Energien verbrauchen wie ein durchschnittlicher Mitteleuropäer, wird das nicht funktionieren. So viel ist nicht da. Da wir aber den Menschen in Afrika weder Kühlschränke noch Computer verweigern wollen und dürfen, muss man sich von unserem Modell der Energieversorgung mit zentralen Kraftwerken und einem großen Leitungsnetz verabschieden. Das geht nur mit dezentralen Systemen, die Elektrizität dahin bringen, wo die Menschen sind. Darum führt kein Weg an erneuerbaren Energien vorbei.

Das klingt für Europäer völlig plausibel. Aber wie klingt das in den Entwicklungsländern?

Es gibt keine ökonomische Entwicklung ohne soziale und ökologische Standards. Die Energieversorgung oder der Zugang zu Wasser sind unmittelbare Entwicklungsprobleme. Darüber gibt es keinen Streit. Aber die Entwicklungsländer sind zu Recht verbittert, dass Versprechen nicht eingehalten worden sind. Beispielsweise haben Industriestaaten ihre Zusagen, die sie beim Welt- Aids-Gipfel gemacht haben, dadurch finanziert, dass sie ihre Beiträge zur globalen Umweltfaszilität gekürzt haben. Diese Global Environment Facility (GEF) ist für die Finanzierung von Anpassungskosten an den Klimawandel zuständig und bei der Weltbank angesiedelt. Noch mehr verbittert die Entwicklungsländer, dass sich die Industriestaaten zwar bei der Welthandelskonferenz in Doha bereit erklärt haben, über den Abbau wettbewerbsverzerrender Subventionen zu reden. Doch was passiert dann? Die USA haben mit der so genannten Farm-Bill ihre Agrarsubventionen um etwa 70 Prozent erhöht. Das hat die Entwicklungsländer empört. Über Entwicklungshilfe streiten sie schon gar nicht mehr. Aber sie wollen mit ihren Produkten auf die Märkte der Industriestaaten. Sie wollen einfach nur wahr machen, was immer gepredigt wird, nämlich Freihandel.

In der Vorbereitung auf den Weltgipfel gab es schon eine Annäherung darüber. Wie ist der Stand der Debatte jetzt?

Wir haben uns bemüht, die Schwierigkeiten, die einzelne Staaten der Europäischen Union mit dem Abbau der Agrarsubventionen haben, zu überwinden. Wir haben nun eine Brücke, über die zumindest alle Europäer gehen können. Ob dieses auch für die USA gilt, wird sich herausstellen. Ich glaube, wir werden überhaupt nur einen Erfolg hinbekommen, wenn das Bündnis zwischen Entwicklungsländern und Europäern wieder handlungsfähig wird. Das hat sich in vielen internationalen Verhandlungen bewährt.

Lassen sich die USA nur überzeugen, wenn Sie sie gemeinsam umzingeln?

Vorher wurde immer gesagt: Mit den USA geht gar nichts. Beim Klimaschutzabkommen von Kyoto haben wir es geschafft, sie so weit zu umarmen, dass sie den Fortschritt der anderen nicht mehr blockieren konnten. Ich hoffe nach wie vor, dass die USA den Weg zurückfinden. Das gilt auch für Johannesburg. Die Europäer wären gar nicht in der Lage, die wesentlichen Finanzierungsmechanismen für eine globale umweltgerechte Entwicklung allein zu schultern, wenn ein finanzkräftiger Zahler wie die USA ausfallen würden. Wir wissen nicht, ob Johannesburg ein Erfolg wird. Berufsoptimisten empfehle ich, mit dem genügenden Maß an Realismus daran zu gehen. Ich wehre mich aber auch gegen diejenigen, die den Gipfel schon völlig abgeschrieben haben.

Wie einig sind die Europäer?

Wir haben in den wesentlichen Fragen innerhalb der EU einen Konsens. Schwierig war die Frage des Marktzugangs: Frankreich und Irland wollen, dass der Zeitplan von Doha eingehalten wird. Das passt aber gut zusammen. Denn genau das wurde in Doha zugesagt. Es gibt einen europäischen Weg, der unabhängig ist von der Parteifarbe. Zum Beispiel in Deutschland: Bundestag und Bundesrat haben das Kyoto-Protokoll einstimmig ratifiziert. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass wir mit konservativen Regierungen in Europa in vielen Fragen kooperieren können, nicht nur in der Gegnerschaft zur Atomenergie mit der österreichischen Regierung, die ja nicht so rot-grün ist.

Was wollen Sie den Entwicklungsländern anbieten, um sie auf Ihre Seite zu ziehen?

Die Bundesrepublik hat ein paar Angebote gemacht: Wir wollen unsere Beiträge zur GEF erhöhen, wir wollen für die 25 am wenigsten entwickelten Länder den Marktzugang sicherstellen, von uns stammt die Idee eines umfassenden Schuldenerlasses für diese Länder. Das hat dazu beigetragen, Vertrauen zu bilden. Wenn sich wirklich etwas bewegen soll, brauchen wir einen multilateralen Prozess. Johannesburg ist nicht so präzise wie Rio, weil kein internationales Abkommen verhandelt wird sondern Ziele. Es fragt sich, ob zur allgemeinen Deklaration einer überwölbenden Zielsetzung, konkrete Maßnahmen hinzu kommen, oder ob wir uns auf private Initiativen beschränken. Ich bin nicht gegen private Initiativen. Aber die erreichen die dringendsten Fälle oft gar nicht. Die meisten Auslands-Direktinvestitionen finden in zehn Ländern statt. Nur drei Prozent davon landen in Afrika. Das ist einer der Gründe, warum ich mich dafür eingesetzt habe, dass der Gipfel für nachhaltige Entwicklung in Afrika stattfindet. Das ist der Kontinent, der von der Globalisierung abgehängt wurde.

Wie wahrscheinlich ist ein solcher Erfolg?

Ich mag keine Prognosen abgeben. Aber wenn die Nicht-Regierungsorganisationen Druck machen, wird sich etwas bewegen. In unserer Delegation sind viele Nicht-Regierungsmitglieder. Und wir fahren ganz CO2-frei dahin.

Wie denn das?

Naja, nicht CO2-frei, aber CO2-neutral. Jeder in der Delegation kann ein Zertifikat erwerben über die 8,3 Tonnen CO2, die diese Reise erzeugen wird. Mit dem Geld werden wir in einem Township ein CO2-Einsparprojekt unterstützen. Dafür werden die Häuser dort wärmegedämmt. Was wir durch die Reise an CO2 produzieren, werden wir so in Südafrika einsparen.

Das Interview führten Dagmar Dehmer und Cordula Eubel.

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