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Politik: Offen nach Osten

Ungarn übergibt die Ratspräsidentschaft an Polen – und wieder will eine Regierung für die Erweiterung der EU streiten

Ihren größten Erfolg haben sie am allerletzten Tag perfekt gemacht. Am frühen Mittwochabend, wenige Stunden bevor die Ungarn den EU-Ratsvorsitz um Mitternacht an Polen weiterreichten, sollten die Beitrittsgespräche mit Kroatien formal abgeschlossen werden. Und der ungarische Außenminister János Martonyi wollte in Brüssel zusammen mit seinem Amtskollegen aus Zagreb das entsprechende Dokument unterzeichnen.

Vor sechs Monaten waren die Ungarn noch belächelt worden, als sie den EU-Beitritt ihres Nachbarlandes zu einer ihrer wichtigsten Prioritäten erklärten. Dass es nun – abgesehen von der noch nötigen Ratifizierung des Beitrittsvertrages – so weit ist, sei vor allem „dem besonderen Engagement Ungarns für die Erweiterungspolitik der EU“ zu verdanken, ließ unter anderem Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) mitteilen. Überhaupt hatte es zu Anfang der ersten Präsidentschaftsphase des 2004 beigetretenen Landes noch gewaltig gehakt – die Proteste gegen das neue ungarische Mediengesetz übertönten die Rufe von Ministerpräsident Viktor Orban nach einem „stärkeren Europa“.

Noch mehr als für Kroatien haben Ungarns Diplomaten für die Reform des Stabilitätspaktes geschuftet. Es war die Aufgabe der Ratspräsidentschaft – als Nicht- Euro-Land beim Griechenland-Krisenmanagement gar nicht involviert –, die im vergangenen Herbst vom EU-Gipfel beschlossene Regelverschärfung in geltendes Recht umzuwandeln. Das Europaparlament stellte 2029 Änderungsanträge, über die Einvernehmen hergestellt werden musste. Ein Staatssekretär aus dem Budapester Finanzministerium bezog deshalb von März bis Juni dauerhaft Quartier in Brüssel, assistiert von einem zehnköpfigen Team. Umso enttäuschter waren die Ungarn, dass das Parlament vergangene Woche wegen zweier noch offener Punkte die Zustimmung verweigerte und nun wohl erst in der kommenden Woche in Straßburg final abstimmen wird. Entsprechend quälte sich Außenminister Martonyi zu einer positiven Deutung: „Das ist zu 99 Prozent erledigt“, sagte er. 27 sogenannte Mitentscheidungsverfahren haben die Ungarn als Verhandlungsführer aller EU-Regierungen mit dem Europaparlament zum Abschluss gebracht. Darunter waren auch zwei Themen, die den Ungarn besonders am Herzen lagen – die neue EU-Donaustrategie sowie ein Aktionsplan, um die Situation der Roma als größter Minderheit des Kontinents zu verbessern. Nicht Wirklichkeit geworden ist dagegen Ungarns Wunsch, im ersten Halbjahr 2011 die Schlagbäume zum EU-Nachbarland Rumänien fallen zu sehen. Die Entscheidung, es zusammen mit Bulgarien in den Schengenraum aufzunehmen, wurde auch auf Druck aus Deutschland hin in den Herbst vertagt.

Derweil kommt ausgerechnet Griechenland den Polen zu Hilfe, die nun die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Denn die Probleme Athens zeigen, dass die Zauderer der EU-Osterweiterung falsch lagen. Brüssels Problemregionen liegen heute nicht im Osten, sondern in der „alten EU“ – neben Griechenland bald womöglich auch Portugal, Spanien und Irland. Polen dagegen hatte als einziges EU-Land selbst im Krisenjahr 2009 keine Rezession. „Polen will die treibende Kraft in der EU werden“, sagt Regierungschef Donald Tusk zuversichtlich und selbstbewusst zugleich.

Für seine EU-Präsidentschaft hat sich Polen ein modernes Logo zugelegt. Emporstrebende farbige Pfeile sollen die Reise in die Zukunft und künftige EU-Höhenflüge symbolisieren. Das polnische Programm ist hoch ambitioniert. Und im Gegensatz zu Ungarn belasten Warschau keine nennenswerten Konflikte mit Brüssel. Gefährlich für die Rolle Warschaus könnte es nur werden, wenn Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski bei den Parlamentswahlen Ende Oktober der große Überraschungscoup gelingt – und der Euroskeptiker zurück an die Macht kommt.

Noch aber sitzt Tusk mit rund 20 Prozent Vorsprung fest im Sattel. Seine rechtsliberale Regierung hat das europäische Wirtschaftswachstum ganz oben auf die Prioritätenliste der polnischen EU-Ratspräsidentschaft gesetzt. Erreicht werden soll dies vor allem durch eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Vereinheitlichung der Regelungen bei elektronischen Dienstleistungen und E-Commerce. Erreicht Polen hier Fortschritte, dürfte es eine leichtere Position beim Verhandlungsbeginn über das EU-Budget 2014 bis 2020 haben, der ebenfalls in die polnische EU-Ratspräsidentschaft fällt.

Die zweite Priorität der Polen ist die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Warschau will eine schnelle EU-Eingreiftruppe mit klaren Befehlstrukturen. Zur Sicherheit zählt Polen mit Nachdruck auch die Energiesicherheit der EU. Hier soll vor allem die Abhängigkeit von Russland aufgebrochen werden. Die dritte Warschauer Priorität ist zugleich der Augapfel des mächtigen Außenministers Radoslaw Sikorski: Polen will die EU möglichst offen für weitere Erweiterungsrunden halten. Die Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbeidschan und unter Einschränkungen auch Weißrussland sollen näher an die EU herangeführt werden. Das erklärte Ziel der Regierung: Polen soll befreit werden vom Ruf des ewigen Neinsagers. „Wenn wir uns wie ungezogene Kinder verhalten, verlieren wir nur“, warnt Tusk in einem Interview mit der polnischen Ausgabe von „Newsweek“.

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