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Politik: Offene Geschichte Von Harald Schumann

Deutschland altert, und die Angstmacher haben Konjunktur. Vom unvermeidlichen wirtschaftlichen Niedergang ist die Rede, vom Zusammenbruch der Sozialsysteme, selbst das Wort von der demografischen Katastrophe ist schon salonfähig.

Deutschland altert, und die Angstmacher haben Konjunktur. Vom unvermeidlichen wirtschaftlichen Niedergang ist die Rede, vom Zusammenbruch der Sozialsysteme, selbst das Wort von der demografischen Katastrophe ist schon salonfähig. War es das also? Zu wenig Kinder, zu viele Alte, kann es nur noch abwärts gehen?

Ganz bestimmt nicht. Richtig ist: Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg wurden so wenig Kinder in Deutschland geboren wie heute. Gleichzeitig leben die Menschen immer länger, sodass sich der Anteil der Älteren gegenüber den Jüngeren unablässig vergrößert. Noch kommen auf einen Über 65-Jährigen rund vier Erwerbsfähige zwischen 20 und 65. In 40 Jahren werden es voraussichtlich nur noch zwei sein.

Allein, dieser demografische Wandel ist gar nichts Neues. Im vergangenen Jahrhundert stieg die Lebenserwartung um mehr als 30 Jahre, während zugleich der Anteil der Jugendlichen und Kinder an der Bevölkerung von 44 auf nur noch 21 Prozent sank. Gleichwohl ging es den Deutschen im Jahr 2000 besser als je zuvor. Dank wirtschaftlichem und technischem Fortschritt waren die „Kosten“ der Alterung ein Preis, der gar nicht ins Gewicht fiel. So lehrt der Blick in die demografische Vergangenheit vor allem eines: Die zunehmende Alterung der Gesellschaft ist zwar vergleichsweise sicher vorherzusagen, doch die Konsequenzen daraus sind es nicht.

Ob Deutschland prosperiert oder verfällt, hängt keineswegs von der Geburtenrate ab. Stiege zum Beispiel die Beteiligung von Frauen und Älteren am Arbeitsmarkt auf skandinavisches Niveau, ließe sich der Mehraufwand für Renten und Gesundheit noch lange ausgleichen. Wächst die Produktivität weiter so wie in der Vergangenheit, gibt es auch künftig keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Und entscheidet sich Deutschland sogar für eine rationale Einwanderungspolitik zu Gunsten qualifizierter Neubürger aus dem Ausland nach kanadischem Vorbild, kann auch das die Lage entspannen. Wie immer gilt: Die Geschichte ist offen – und gestaltbar.

Entscheidend ist, was Politik und Wähler heute tun. Da allerdings versagen die Deutschen derzeit ausgerechnet dort, wo der zentrale Ansatzpunkt zur Vermeidung einer demografisch bedingten Krise liegt: bei der Reform des Bildungswesens. Die Bevölkerungsprognose stellt klar, dass Wohlstand nur zu halten ist, wenn auch in Zukunft immer weniger Köpfe immer mehr Güter und Dienstleistungen herstellen können. Doch dieses Ziel ist unmöglich zu erreichen, wenn weiter ein Fünftel eines jeden Schülerjahrgangs ohne ausreichende Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen wird. Mit Sicherheit wird die demografische Frage zur demografischen Falle, wenn Deutschlands Regierende diesen Raubbau an der Jugend fortsetzen, indem sie erst Steuergeschenke an die Privilegierten verteilen und anschließend erklären, für Bildungsinvestitionen mangle es an Geld.

Gelingt an dieser Stelle die Wende, dann, aber nur dann könnte das derzeitige Erschrecken über den Kindermangel sehr wohl auch zum Beginn einer großartigen Selbstvergewisserung unserer Gesellschaft werden, die den Angstmachern die rote Karte zeigt und jungen Menschen den Mut zum Kind zurückgibt. Der Anfang dazu, das belegen die vielen in dieser Ausgabe dokumentierten Stimmen, ist längst gemacht.

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