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Politik: „Ohrfeige für Frankreichs Wähler“

Regierungsumbildung in Paris: Premier Raffarin bleibt im Amt und viele Minister tauschen nur die Posten

Obwohl die wenigsten Minister ihren Posten behalten durften – die groß angelegte Regierungsumbildung durch Staatspräsident Jacques Chirac am Mittwoch wird von den Franzosen heftig kritisiert. Allein die Tatsache, dass Chirac am umstrittenen Premierminister Jean-Pierre Raffarin festhält, stößt auf Unverständnis. „Eine Ohrfeige für Frankreichs Wähler“, meinen viele Abgeordnete, nicht nur von der Opposition. Der sozialistische Parteichef Francois Hollande erklärte: „Raffarin im Amt zu halten ist nicht nur ein Irrtum, sondern ein gravierender Fehler.“

Generell hieß es am Mittwochabend, Chirac habe den Erwartungen der Wähler in keiner Weise entsprochen. So habe er nicht nur den im Volk unbeliebten Regierungschef im Amt behalten; er habe überdies auch kein wirklich neues Team vorgestellt. Bei den Wahlen in den 22 Regionen hatten die oppositionellen Sozialisten und ihre Verbündeten am vergangenen Sonntag mit mehr als 50 Prozent ein historisches Wahlergebnis erzielt. Lediglich das Elsaß blieb in der Hand der Bürgerlich-Konservativen. Zwar versprachen Chirac und die Seinen seit dem Desaster, den Willen der Wähler verstanden zu haben und eine „strikt politisch, sozial orientierte“ Politik anzupeilen, nicht zuletzt, weil zu drastische Sozialreformen als ein Grund für die Niederlage angesehen werden.

Letztlich aber bleibt die Regierungsumbildung nur eine kosmetische Operation. Ein Personalkarrussel wurde in Gang gesetzt – viele Minister blieben und tauschten untereinander lediglich die Posten. Die fünf angesichts der aktuellen Lage strategisch wichtigsten Ressorts Außenpolitik, Wirtschaft und Finanzen, Bildung, Innenpolitik und Soziales wurden mit „alten Ministern“ umbesetzt. Der bisherige Außenminister Dominique de Villepin soll das Innenministerium des erfolgreichen, ehrgeizigen Innenministers Nicolas Sarkozy übernehmen – die Nachricht mit dem größten Aufmerksamkeitswert. Mit diesem Schachzug, so munkelt man hinter den Kulissen, habe sich Chirac bereits für die nächste drohende Schlappe seiner Partei abgesichert – bei den Europawahlen im Juni.

Dann könnte es wieder zu einer Regierungsumbildung kommen, mit Villepin als Regierungschef. Chirac hätte damit seinen Intimfeind Sarkozy, der vom Stuhl des Innenministeriums aus über das Premieramt den Sessel im Elysée-Palast anstrebt, ausgeschaltet. Sarkozy wandert also ins Wirtschafts- und Finanzministerium und soll dort, mit vier beigeordneten Ministern, die Kohlen für Frankreichs brachliegende Ökonomie aus dem Feuer holen. Vor allem geht es um die stetig steigende Arbeitslosigkeit, das wachsende Defizit und eine harte Hand im Umgang mit den Gewerkschaften bei der Privatisierung früherer Staatsbetriebe.

Der amtierende EU-Kommissar Michel Barnier, einst Minister für Europaangelegenheiten, wird das Amt des Chefdiplomaten übernehmen. Der bisherige Sozialminister, Francois Fillon, wechselt ins Bildungsministerium, wo weit reichende Personalkürzungen in der Lehrerschaft zu erwarten und der Bevölkerung zu erklären sind. Als Nachfolger ist der bisher beigeordnete Minister für Stadtentwicklung vorgesehen, Jean-Louis Borloo. Sein Ministerium heißt künftig „Sozialer Zusammenhalt“ – mit dem Ziel, die zahlreichen am Rande der Armut lebenden Immigranten besser zu integrieren.

Außerdem zwei Überraschungen: Der Bürgermeister von Toulouse, Philippe Douste-Blazy, wird Gesundheitsminister und übernimmt eine der schwierigsten Aufgaben angesichts des Zwölf-Milliarden-Euro-Defizits in der staatlichen Krankenversicherung. Und Forschungsministerin Claudie Haignère, international bekannte Astronautin, wechselt ins Ministerium für Europäische Angelegenheiten.

Fast ein Dutzend Minister, darunter vier Frauen, haben die Regierung verlassen. Zu den wenigen, die ihren Posten behalten durften, zählen Verteidigungsministerin Michèle Aillot-Marie, Justizminister Dominique Perben, Verkehrsminister Gilles Robien und Landwirtschaftsminister Hervé Gaymard.

Trotz der Umwälzungen – die Stimmung in Frankreichs Parteizentralen, Amtsstuben und Ministerbüros ist denkbar schlecht. Die Linke urteilte übereinstimmend, Raffarin diene Chirac noch drei Monate als „Märtyrer“ und werde nach den für die Rechte voraussichtlich verlustreichen Europawahlen als „Sündenbock“ entlassen. „Wie soll Raffarin unter diesen Voraussetzungen regieren?“ Diese Frage beschäftigt nicht nur Frankreichs Wähler. Die Gewerkschaften kündigten angesichts der bevorstehenden, drastischen Reformen in Gesundheitswesen und Beschäftigungspolitik schon mal einen „heißen“ Frühling an.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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