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Olympia - Kulisse für den Wettkampf. Was strahlen soll, muss gepflegt und geputzt werden - hier die Boden für die Gymnastik der Herren.

© Ruben Sprich/dpa

Olympia, Zeichen und Wunder: Sport trifft Wirklichkeit

Die olympische Welt ist kleiner und schmutziger als bisher dargestellt - große Gesten, Sätze und Symbole entstehen trotzdem. Ein Kommentar zur Halbzeit.

Ein Kommentar von Friedhard Teuffel

Ihr Vater hatte die Familie verlassen, ihre Mutter war drogensüchtig – und sie ist jetzt die beste Turnerin der Welt. Diese Geschichte kann man sich in diesen Tagen abends im Fernsehen erzählen lassen, wenn Simone Biles aus den USA an die Turngeräte geht. Die Olympischen Spiele wollen wahre Märchen aufführen. Nur dass die Scheinwerfer diesmal nicht nur die Bühne ausleuchten, sondern auch die Kulisse.

Die Spiele prallen in Rio de Janeiro so deutlich wie vielleicht nie zuvor auf die Wirklichkeit. Das ist hörbar und sichtbar. Hörbar, wenn das Publikum auf einmal eine russische Schwimmerin ausbuht, obwohl das Thema Doping doch sonst innerhalb des Sports eher Schweigen auslöst. Sichtbar, wenn so viele Plätze in Hallen und Stadien leer bleiben, weil die Menschen eben genug Sorgen haben und sich ein bisschen Ablenkung durch Olympia nicht leisten wollen oder können.

Olympia - das waren und sind immer auch Bilder

Als die Olympischen Spiele noch vor Kraft strotzten und vor Siegesgewissheit strahlten, schienen sie für zweieinhalb Wochen stärker zu sein als die Wirklichkeit. Sie ließen all den Gefühlen des Sports freien Lauf, und das Publikum konnte sich davon betören lassen. Doch immer weniger Menschen wollen vom olympischen Geist völlig benebelt werden. Die Probleme bleiben schließlich die gleichen, und für manche kommen sogar durch Olympia noch welche hinzu, etwa, wenn sie da wohnen, wo eine Sportstätte hingebaut werden soll.

Der realistische Blick wird inzwischen nicht nur von außen auf die Spiele geworfen. Kritik kommt längst auch aus dem inneren Kreis, so wie von Beachvolleyball-Olympiasieger Julius Brink, der im Auftrag der ARD nach Rio geflogen ist, und jetzt dem Internationalen Olympischen Komitee in einem klugen Beitrag vorhält, die Welt zu belügen. Wie könnten es schließlich nachhaltige Spiele sein, wenn die Olympia-Busse den ganzen Tag den Motor laufen lassen?

Auch innerhalb der Arenen ist Olympia keine bessere Welt. Sonst hätte ein ägyptischer Judoka nach seiner Niederlage in der ersten Runde nicht die ausgestreckte Hand seines Bezwingers ignoriert. Der Gegner kam aus Israel.

Das TV-Publikum streamt sich auseinander

Es sind überall Brüche spürbar in der Wirklichkeit der Spiele. Und in ihrer Wahrnehmung. Viele haben sich hierzulande abgewendet vom Spektakel, aus Abneigung gegen Kommerz und Korruption. Aber auch innerhalb des verbliebenen Publikums laufen Trennlinien. Etwa die zwischen Traditionalisten und Eventzuschauern. Die Traditionalisten würden sich gerne weiter am olympischen Feuer wärmen, sie sind noch groß geworden mit leuchtenden Spielen, mit Momenten, die zu einem gemeinsamen Erinnerungsschatz veredelt worden sind. Andere schauen dagegen nur mal hinein, als ob die Spiele in Rio ein beliebiges Event wären. Das Angebot ist ohnehin so vielfältig mit all den digitalen Extrakanälen, dass sich das Olympiapublikum allmählich auseinanderstreamt.

Besonders erfolgreich ist Deutschland in den Schießsportarten

An manchen Erkenntnissen lässt sich jedoch kaum vorbeikommen, etwa, dass die nach Medaillen erfolgreichste deutsche Sportart bei diesen Spielen bisher das Schießen ist, ob mit Pistole, Gewehr oder Pfeil und Bogen. Das hätte sich diese Gesellschaft sicher mehrheitlich anders gewünscht. Und doch bietet es immerhin Anlass für eine Debatte, ob Schießen als Sport entweder nicht mehr in die Zeit passt oder Henri Junghänel Recht haben könnte, der nach seinem Sieg mit dem Gewehr sagte, sein Sport habe ihm viel gegeben – Schießen kann eine herausragende Konzentrationsübung sein.

Olympia bleibt also stark in seiner Symbolik. Die olympische Welt ist zwar viel kleiner und schmutziger als sie bisher dargestellt wurde, aber sie schafft es noch, aus einzelnen Gesten und Sätzen Symbole zu machen, die tausend-, manchmal millionenfach beachtet werden. Wenn beispielsweise eine tunesische Fechterin sagt, ihre Bronzemedaille sei eine Botschaft an alle Tunesier, dass Frauen ihren Platz in der Gesellschaft haben. So ehrlich kann Olympia auch sein.

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