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Otto Hahn.

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Otto Hahn: Die dunkle Seite des Genies

Otto Hahn war Nobelpreisträger und Gegner der Atombewaffnung. Im Ersten Weltkrieg aber gehörte er zu den Wissenschaftlern, die den Einsatz von Giftgas vorbereiteten und sogar lenkten.

Otto Hahn, Entdecker der Kernspaltung, Nobelpreisträger und einer der bedeutendsten Chemiker der Geschichte, ist Ehrenbürger von Göttingen. Sein Portrait hängt als Ölgemälde im Ratssaal. Ein Gymnasium, eine Straße und das größte Veranstaltungszentrum der Stadt sind nach ihm benannt. Auch in vielen anderen Städten wie in Berlin tragen Straßen, Plätze und Schulen seinen Namen.

Jetzt verlangt das Göttinger „Bündnis Antikriegsforschung“, Hahn die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen und das Otto-Hahn-Gymnasium sowie die Otto-Hahn-Straße umzubenennen. Hahn gehöre als „Kriegsverbrecher“ gebrandmarkt. Ein knappes Dutzend Initiativen und Organisationen aus der Universitätsstadt unterstützt diese Forderungen.

Ruf als Friedensmahner

Weil er 1956 mit anderen Nobelpreisträgern öffentlich auf die Gefahren der Atombombe aufmerksam machte, ein Jahr später die „Göttinger Erklärung“ von 18 Professoren gegen die nukleare Bewaffnung der Bundeswehr mit verfasste und mehrmals für internationale Entspannung und atomare Abrüstung warb, hat Hahn den Ruf eines Friedenmahners.

Recherchen des Göttinger Germanisten und Kunsthistorikers Martin Melchert werfen ein Licht auf eine bislang weitgehend unbekannte, dunkle Seite des Wissenschaftlers: Hahn (1879–1968) war demnach zwischen 1915 und 1918 „rechte Hand“ des „Vaters des Gaskriegs“, Fritz Haber, bei der Entwicklung von Giftgasen wie Phosgen und Zyklon A – er füllte auch eigenhändig Chlorgasgranaten und organisierte im Ersten Weltkrieg deutsche Giftgasangriffe. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia widmet Hahns Wirken im Weltkrieg lediglich zwei Absätze. Erwähnt wird nur seine Mitgliedschaft in der von Haber geleiteten Spezialeinheit für chemische Kriegsführung. Melchert hat viele andere Quellen ausgewertet. Danach hat sich Hahn zu Kriegsbeginn freiwillig aus „anerzogenem Pflichterfüllungsprinzip“ zu einem Landwehrregiment gemeldet und nach kurzer Zeit eine Maschinengewehrabteilung geleitet. Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen zum Gaskrieg an. Haber zog alle zur Verfügung stehenden Chemiker sowie Physiker und Meteorologen zusammen, um die Forschung zu bündeln.

Gasangriff in Flandern

Im Februar 1915 wurde der erste große Gasangriff vorbereitet. Er erfolgte am 22. April in Flandern. Auf einer Breite von 20 Kilometern schraubten deutsche Soldaten zeitgleich tausende Gasflaschen auf. 170 Tonnen Chlorgas trieben als Wolke auf die feindlichen Schützengräben zu. Die gegnerischen Soldaten wurden überrascht, das Gas verätzte ihre Atemwege, es entstand Panik. Hahn war als Mit-Organisator und „Frontbeobachter“ vor Ort. Weitere Gasattacken in Flandern und an der Ostfront folgten. Dort war Hahn „nicht nur beim Angriff persönlich anwesend, er trieb die zögerlichen Angreifer auch regelrecht voran“, schreibt Melchert und zitiert aus Hahns Erinnerungen: „Der Angriff wurde ein voller Erfolg; die Front konnte auf sechs Kilometer Breite um mehrere Kilometer vorverlegt werden.“

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