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Vorbereitungen für die Wahl. In Lahore, der Hauptstadt der Provinz Pandschab, werden schon Parteiflaggen produziert.

© Arif Ali/AFP

Najam Sethi ist Provinz-Regierungschef: Pakistan - Land der unberechenbaren Möglichkeiten

In der wichtigsten Provinz Pakistans, dem Pandschab, hat es mit Najam Sethi ein kritischer, säkularer Journalist an die Spitze der Regierung geschafft.

Najam Sethi lässt sich aufs breite Sofa fallen, putzt die runde Metallbrille und beobachtet aus den Augenwinkeln seinen Blackberry. Unzählige Narzissen machen aus dem Wohnzimmer mit imposanter Bücherwand einen Indoor-Garten. Ein Angestellter hat Sandwiches und Tee gebracht, Tochter Mira kommt vom Reiten heim, im Hof parkt ein silberner Mercedes – klassisches Oberklassenambiente im pakistanischen Lahore. Doch mit heiler Welt hat das Leben des freundlich lächelnden Mannes wenig gemein. Die Familie lebt in einer Festung: hohe Mauern, Wachen am Eingang, Betonpoller auf der Straße. Nun ist das Anwesen auch noch Regierungssitz. Der prominente Journalist und politische Analyst Sethi ist bis zu den Wahlen auf nationaler und Provinzebene am 11. Mai Übergangsministerpräsident des Pandschabs, der wichtigsten Provinz Pakistans, in der mit 100 Millionen Menschen mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt. Die Geschichte des Mannes mit dem grauen Schnäuzer ist ein Beispiel für die vielen Widersprüche, die den Atomstaat so unberechenbar erscheinen lassen.

Sethi gilt als Mann des offenen Wortes; er wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnetet. Seine Frau Jugnu Moshin stammt aus einer Unternehmerfamilie, beide zusammen gründeten das erste englischsprachige Wochenmagazin „The Friday Times“, das gern mit dem „Spiegel“ verglichen wird. Mit seiner in Urdu produzierten nächtlichen Politshow „Unter uns beiden“ im populären Geo-TV, die ein Millionenpublikum erreicht, ist er inzwischen Kult. Doch mit steigender Popularität empfanden ihn wohl auch immer mehr als Bedrohung.

Sethi vertritt im muslimisch geprägten Pakistan ausgesprochen säkulare Ansichten, er kritisiert Politiker, Armee, Geheimdienst, Extremisten, Terroristen. Die Taliban und der mächtige Geheimdienst ISI drohten ihm bereits. Er sprach darüber, allerdings entschied er auch, die Angriffsfläche zu reduzieren. Sein Haus, sagt Sethi, verlässt er nicht mehr so oft, und wenn, dann mit bewaffneter Eskorte.

Sethi saß unter verschiedenen Machthabern in Haft, unter Zulfikar Ali Bhutto, unter Zia-ul-Haq, auch zur Zeit des Premiers Nawaz Sharif, Chef der Muslimliga. Damals prangerte er die Korruption auch der Sharif-Familie an. Heute liegt Sharifs Muslimliga bei Wahlumfragen in Führung, im Pandschab sowieso. Dort war Bruder Shabaz bis zu Sethis Übernahme Ministerpräsident. Pakistans Verfassung sieht zur Vorbereitung von Wahlen eine bis zu drei Monate amtierende Übergangsregierung vor. Sethi galt vielen Beobachtern als Mann der Regierungspartei PPP. Aber auch Sharifs Muslimliga sucht inzwischen seine Nähe. Shabaz Sharif lobte Sethi jüngst öffentlich, der Kritiker habe seine schlechte Meinung über die Arbeit seiner Regierung korrigiert. Der ehemalige Feind ist offenbar nun von Nutzen.

Sethi kritisiert Korruption in Politik und Militär noch immer. Demokratie, sagt er, sei, wenn er seine Meinung frei äußern kann. Trotz all der Anfeindungen – Kritiker nennen ihn einen Agenten der CIA, Lügner und Steuerhinterzieher – will er in Pakistan bleiben. Auch Tochter Mira, die in den USA studiert hat und fürs „Wall Street Journal“ kritisch über ihr Land schreibt, kann nicht nachvollziehen, dass Ausländer meinen, ein Leben anderswo sei allemal besser als in Pakistan: „Im Ausland ist man rational vielleicht besser aufgehoben, aber emotional irgendwie unerfüllt. Die Entbehrungen übersteigen den Nutzen erheblich, selbst wenn du jeden Tag in Manhattan zum Brunchen gehst“. Sagt es und zieht mit ihrem Reithelm ab.

Bevor Najam Sethi sich in sein privates Aufnahmestudio hinter seinem Schlafzimmer zurückzieht, skizziert er noch rasch sein Bild der Lage. Derzeit gebe es keine Redefreiheit, die meisten Pakistaner wohnten auf dem Land und könnten weder lesen noch schreiben – aber bei Wahlen würden sie „wiedergeboren“ als Bürger, für deren Stimmen man etwas tut.

Sethis Analyse ist ein Gleichnis mit vier Urdu-Begriffen. Der erste ist „Nelka“, was so viel wie Wasserhahn bedeutet. Wasser heißt Entwicklung. Dazu kommt „Nali“, die Drainage. Sethi übersetzt das mit dem Wohlergehen der Menschen: Bildung, Gesundheit, Selbstbestimmung. Wichtig für all das ist „Tana“, die Polizeistation. „Die sind am mächtigsten, was die Auswirkungen auf das Leben der Leute angeht.“ Er selbst habe ein gepanzertes Auto, eigene Wachen. „Die Polizei kommt zu mir.“ Für normale Bürger aber sei die Polizei „Unterdrücker und Befreier“. Denn „wenn einer seinen Nachbarn nicht mag, sagt er, der habe seine Ziege gestohlen, zahlt der Polizei 1000 Rupien und die sperren den Mann ein. Da bleibt er – bis er selbst 20 000 Rupien zahlt.“ Nummer vier ist „Kacheri“, das örtliche Gericht. „Da gehst du hin, aber Gerechtigkeit gibt es auch dort nicht. Gerichte sind Arenen des Kampfes.“ Richter und Anwälte machten Geld.

Auf diesen vier Säulen baue die Macht des lokalen Abgeordneten auf: „Er wird dich befreien.“ Denn „der Polizeichef ist von ihm eingesetzt“. Wie nutzt der Abgeordnete die vier Säulen? „Die Polizeistationen werden an die mit den besten Kontakten verkauft“, ähnlich laufe es bei Richtern. Die Parteien geben ihren Mitgliedern vor den Wahlen Geld für Wohltaten. „Die Hälfte behält der Abgeordnete, mit der anderen schafft er Infrastruktur. Die ist zwar völlig unzureichend, aber die Leute bekommen etwas.“ Die Pakistaner wüssten genau, dass ihre Abgeordneten korrupt sind – aber am Ende seien sie es, die ihnen wenigstens zu den Wahlen kleine Verbesserungen bringen.

Trotzdem ruft Sethi nicht nach einer starken Hand: „Korrupte Politiker sind immer noch besser als korruptes Militär an der Regierung.“ Mit jeder Wahl kämen immerhin ein paar neue Leute ins System. Er könnte noch viele andere Probleme anführen, radikale Taliban, die Pakistan zu spalten suchen, aber nicht die Macht übernehmen könnten, das jüngste Drama um den früheren Militärmachthaber und Präsidenten Pervez Musharraf, dem ein Prozess wegen Landesverrat droht, zermürbende Anschläge, ein Steuersystem, das die Wohlhabenden verschont, wachsende Arbeitslosigkeit, das für Arme und Mittelklasse bei steigenden Preisen und massiven Stromausfällen immer schwerer werdende Leben. Mit einem Lachen verabschiedet er sich: „Da müssen wir durch.“

Einige Tage später ist er „Caretaker“, soll im Pandschab den Übergang zu den Wahlen im Mai managen. Doch schon gibt es Stimmen, die Wahl zu verschieben. Selbst Ex-Cricketstar Imran Khan, für viele die Hoffnung auf Veränderung, hat den Termin infrage gestellt. Sethi aber setzt auf fristgerechte Wahlen, bei denen das erste Mal in Pakistan eine zivile Regierung ohne Intervention einer zivilen folgen würde. Es könnte aber auch sein, sagt er, dass eine Übergangsregierung einige Jahre mit harter Hand aufräume.

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