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Politik: „Pakistan will bin Laden nicht fangen“

Herr Coll, Sie sind einer der besten Experten zu Osama bin Laden. Wo ist er heute?

Herr Coll, Sie sind einer der besten Experten zu Osama bin Laden. Wo ist er heute?

Er ist höchstwahrscheinlich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan auf. Hier hat er viele Freunde, und die pakistanische Armee operiert dort nicht. Er verhält sich äußerst vorsichtig.

Haben sich die Amerikaner genug angestrengt, um bin Laden zu fassen?

Sie haben viel zu wenig getan – auch aus nachvollziehbaren Gründen. Der Irakkrieg bindet enorme Kräfte. Und die hohen Zahlungen an die pakistanische Armee für den Anti-Terror-Kampf haben den perversen Anreiz geschaffen, bin Laden nicht zu finden. Denn wenn die Pakistaner ihn fangen, werden sie die US-Hilfsgelder verlieren. Bin Laden hat aber in der pakistanischen Bevölkerung wegen der Selbstmordattentate Rückhalt verloren. Ich glaube daher, dass der Zeitpunkt näher rückt, dass irgendeiner tatsächlich in eine Polizeistation kommt und ihn gegen das Kopfgeld verrät.

Also abwarten, bis einer ihn verpfeift?

Die USA könnten vieles besser machen. Aber unsere Aktionen sind bislang einfach zu unkoordiniert.

Ein Teil des Bin-Laden-Clans führt einen postmodernen, extrem luxuriösen Lebensstil. Ein anderer Teil ist streng islamisch mit ausgeprägten antiwestlichen Gefühlen. Wie ist das zu erklären?

Durch die ersten Ölkrisen in den 70er Jahren hatte der Clan die Möglichkeit, sich jeden Lebensstil und jede Identität, die es gab, zu kaufen. Der religiöse Strang in der Familie ist in dem saudischen Kontext vollkommen normal. Ein Leben allein dem Glauben gewidmet, das gilt in Saudi-Arabien als Ideal, nicht etwa als radikal. Osamas Ausgangspunkt lag hier, auch wenn er schließlich in Krieg, Terror und Gewalt endete. Heute betrachten wir Osama bin Laden vor allem als einen Radikalen, aber bis Ende der 90er Jahre war er im saudischen Kontext eine ziemlich normale Erscheinung.

Wie war der Einfluss der Familie auf Osama bin Ladens Entwicklung?

Der wichtigste Faktor ist die starke Zugewandtheit zu moderner Technologie. Wir sehen bin Laden gewöhnlich als einen Mann mit langem Bart, der in einer Höhle lebt. Aber er ist ein sehr moderner Typ. Der Al-Qaida-Erfolg ist eng verbunden mit seiner Begeisterung für moderne Technik. Sein Vater formte sein enormes Unternehmen mit einer sehr diversen Mitarbeiterschaft, die aus allen Ecken der Welt kam. Das macht Osama bei Al Qaida ähnlich. Er ist ebenfalls in der Lage, eine sehr diverse Anhängerschaft zusammenzuhalten und an sich zu binden.

Was für Auswirkungen hatte der 11. September auf die Geschäfte des Bin-Laden- Clans?

Die saudische Regierung entschloss sich sehr bald, den Clan nicht zu bestrafen. Dann kam der jüngste Ölpreisboom und damit die enormen Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur – das Kerngeschäft der Bin-Laden-Gruppe. Nach den Al-Qaida-Attentaten in Saudi-Arabien hat das Unternehmen sogar einen Riesenauftrag bekommen für den Bau neuer Gefängnisse. Sie sehen, der Clan arbeitet sozusagen auf beiden Seiten dieses Krieges.

Das Gespräch führten Michael Schmidt und Martin Gehlen.

Steve Coll (50)

arbeitete über zwanzig Jahre für die „Washington Post“ und schreibt für das Magazin

„The New Yorker“.

Er erhielt zweimal

den Pulitzer-Preis.

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