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Politik: Palästrojka – aber nur mit halbem Herzen

Von Andrea Nüsse, Amman So hatte sich der neue palästinensische Arbeitsminister Ghassan Khatib seinen ersten Arbeitstag nicht vorgestellt. Der bisherige Leiter des palästinensischen Medien- und Kommunikationszentrums sitzt am Montag in seinem Haus in Ramallah fest.

Von Andrea Nüsse, Amman

So hatte sich der neue palästinensische Arbeitsminister Ghassan Khatib seinen ersten Arbeitstag nicht vorgestellt. Der bisherige Leiter des palästinensischen Medien- und Kommunikationszentrums sitzt am Montag in seinem Haus in Ramallah fest. Die erste Sitzung des neuen Kabinetts kann nicht stattfinden: Palästinenserpräsident Jassir Arafat harrt, umstellt von israelischen Panzern, in seinem halb zerstörten Amtssitz in der Stadtmitte aus, viele Minister sind wegen der teilweisen Ausgangssperre in ihren Häusern blockiert. Die israelische Armee hat wenige Stunden nach der Ernennung eines neuen Kabinetts durch Arafat die autonome Palästinenserstadt erneut besetzt. Die Reformen müssen warten.

Allerdings haben nur wenige Palästinenser die Hoffnung, dass die neue, von 31 auf 21 Mitglieder geschrumpfte Regierung, wirkliche Reformen anpacken wird. „Es gab keinen wirklichen Wechsel“, klagt der Vorsitzende der palästinensischen medizinischen Hilfsdienste und eine der Säulen der palästinensischen Zivilgesellschaft, Mustafa Barghouti. 15 Minister seien auf ihren Posten geblieben oder auf einen anderen verschoben worden. „Die Menschen wollten frische Gesichter sehen“, erklärt Barghouti im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die seit acht Jahren amtierenden Minister hätten sich als unfähig erwiesen. Neue politische Kräfte seien nicht eingebunden worden, kritisiert Barghouti weiter.

Eine Mitarbeit in der neuen Regierung haben jedoch nicht nur Organisationen wie Hamas und oder die PFLP abgelehnt, sondern auch Mustafa Barghouti selbst. „Maßgeblich ist, wo die Entscheidungen getroffen werden: Nach wie vor ist alle Macht in Arafats Händen konzentriert“, erklärt Barghouti seine persönliche Entscheidung. Die fünf neuen Minister reichten nicht aus, um Bewegung in die erstarrten Strukturen zu bringen, fürchtet er.

Einig sind sich auch Arafats palästinensische Kritiker, dass die Ernennung von Salam Fayad ein echter Lichtblick ist. Der ehemalige Mitarbeiter der Weltbank wird als professionell eingeschätzt. Ihm wird zugetraut, mehr Transparenz in die Finanzsysteme zu bringen und die verhasste Korruption zu begrenzen. Auch der Mann für den neu geschaffenen Posten des Innenministers, der ehemalige General Abdel Razak al-Yehia, wird allgemein akzeptiert – auch wenn ihm nicht zugetraut wird, Arafat wirklich zu widersprechen. Der Mann ohne Hausmacht soll versuchen, die zahllosen Sicherheitsdienste zusammenzufassen.

„Arafat hat sich nicht um die Kritik seiner eigenen Leute geschert“, kommentiert Nabil Khatib, der Palästina-Korrespondent des libanesischen Fernsehsenders MBC. Spannend wird nun, wie das palästinensische Parlament reagiert. Nach dem jetzigen Stand der Dinge will Arafat den Parlamentariern nur die fünf neu ernannten Minister zur Vertrauensabstimmung vorstellen. Würde er das gesamte Kabinett einer Vertrauensabstimmung unterziehen, wären die Chancen zu groß, dass die neue Regierung mit ihren vielen alten Gesichtern abgelehnt wird. Das Fatah-Mitglied Qadura Fares will es auf eine Konfrontation mit Fatah-Chef Arafat ankommen lassen und dafür kämpfen, dass alle Ernennungen im Parlament diskutiert werden. In der Vergangenheit hatte Arafat den sicheren Rückhalt von etwa 53 der insgesamt 87 Parlamentsabgeordneten. Doch da auch in den Fatah-Kreisen in den vergangenen Monate harsche Kritik an Arafat laut wurde, könnte sich dieses Kräfteverhältnis verändert haben. Daher ist die Abstimmung über die Kabinettsmitglieder der erste Test dafür, ob Arafats eigene Gefolgsleute den halbherzigen Reformkurs stützen oder angesichts der allgemeinen Unzufriedenheit die Konfrontation wählen.

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