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© EPA

Parlamentswahlen: Irak: Stimme für Stimme

Wer die Parlamentswahlen im Irak gewonnen hat, ist noch unklar. Derzeit liegt Ex-Regierungschef Ijad Allawi knapp vor Amtsinhaber Nuri al-Maliki. Der fordert eine Neuauszählung. Wie ist das zu bewerten?

Bei der Hohen Wahlkommission des Irak liegen die Nerven blank. Jeden Tag Chaos auf den Fluren, Abstürze im Computerzentrum, schimpfende Politiker und schreiende Reporter. Mal sind die neuesten Ergebnisse auf den Monitoren nicht lesbar, mal werden sie Minuten später bereits als „Irrtum“ wieder zurückgezogen. Oder es sind erneut viel zu wenige Daten-CDs verfügbar, auf die jeden Abend der Zählertrag des Tages gebrannt wird. Seit zwei Wochen addieren die 500 Mitarbeiter der Rechenzentrale in der Grünen Zone die Parlamentswahl vom 7. März zusammen. Quälend langsam zuckelt die Summe der ausgezählten Stimmen Tag für Tag nach oben – zuletzt stand sie bei 92 Prozent.

Doch je eindeutiger die Ziffern, desto verschwommener werden die politischen Aussichten. Denn inzwischen liefern sich die beiden Hauptkonkurrenten, der amtierende Ministerpräsident Nuri al-Maliki und der frühere Regierungschef Ijad Allawi, ein überraschendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Mal liegt der eine mit ein paar tausend Stimmen vorne, mal der andere. Mal spricht der eine von Betrug an den Urnen, mal der andere.

Am Wochenende war Maliki wieder an der Reihe, Allawi hatte ihn am Abend zuvor mit rund 8000 Stimmen überflügelt. Diesmal forderte er eine komplette Neuauszählung – „per Hand und ohne Einsatz obskurer elektronischer Methoden“. Die Wahlkommission müsse „dieser Forderung der politischen Parteien sofort nachkommen“, hieß es barsch in der Stellungnahme, die zudem vermerkte, Maliki sei auch Chef der irakischen Streitkräfte. Nur so lasse sich „die politische Stabilität schützen und eine Rückkehr zur Gewalt verhindern“. Und seine Mitarbeiter präzisierten, bis zur Marke 65 Prozent sei aus Sicht des Maliki-Lagers die Auszählung sauber abgelaufen, „seitdem springen die Zahlen ohne jede Logik“.

Das aber war dann auch dem sonst so bedächtigen Chef der Hohen Wahlkommission zu viel. „Alle politischen Parteien bekommen CDs mit den aktuellen Zahlen, die von uns eingehend geprüft worden sind“, erklärte Faraj al-Haidari. Wer Zweifel an der Auszählung habe, könne eine Überprüfung beantragen, aber natürlich nur einzelner Urnen und nicht aller 12 Millionen Stimmen.

Abgesehen davon sind nach seinen Angaben diesmal nur etwa halb so viele Beschwerden eingegangen wie bei den Provinzwahlen im Januar 2009. Westliche Beobachter und Diplomaten jedenfalls haben bisher keine größeren Manipulationen beanstandet, weder bei der Wahl noch bei der Auszählung. 62,4 Prozent der 18,9 Millionen Wahlberechtigen waren am 7. März zur Abstimmung erschienen – unbeeindruckt von den zahlreichen Raketenangriffen und Bombenanschlägen an diesem Tag.

Zwei Wochen später und kurz vor der Ziellinie im Zählmarathon ist es vor allem für Maliki politisch eng geworden. Er hatte sich im Wahlkampf als Iraks starker Mann präsentiert, der vor allem für mehr Sicherheit im Lande sorgen will und er war seines Sieges absolut gewiss. Seinen Anspruch auf eine zweite Amtszeit als Regierungschef jedoch kann er nur anmelden, wenn seine „Allianz für Rechtsstaat“ am Ende die Nase vorn hat – und sei es mit nur wenigen tausend Stimmen. Denn Maliki geht mit einer selbst geschaffenen, schweren politischen Hypothek in mögliche Koalitionsverhandlungen. Ausdrücklich billigte er vor der Wahl die umstrittene Disqualifizierung von rund 500 sunnitischen und schiitischen Kandidaten durch eine obskure Ent-Baathisierungskommission – darunter mehrere sunnitische Spitzenpolitiker. Viele mögliche Regierungspartner hat er damit vor den Kopf gestoßen, die sich nun mit seinem Gegenspieler Allawi verbünden könnten. Der säkulare Schiit steht an der Spitze des überkonfessionellen Bündnisses „Irakische Nationalbewegung“.

Für die kommenden Wochen lassen die erregten Wortwechsel in der Schlussphase der Auszählung nichts Gutes ahnen. Keiner der beiden Kontrahenten wird klarer Sieger sein. Und keiner ist bereit, wegen ein paar tausend Stimmen die Rolle des Verlierers zu akzeptieren. Stattdessen ziehen beide schon Tage vor der Bekanntgabe des Endergebnisses die Wahlprozedur insgesamt in Zweifel, obwohl es dafür kaum konkrete Anhaltspunkte gibt. Dem Irak droht ein langes politisches Vakuum – bis zur Bildung einer stabilen neuen Regierung könnten noch viele Monate vergehen.

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