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Politik: Parteichef Bisky ernennt die PDS zur Bewahrerin der sozialdemokratischen Tradition

Kaum war er am Sonntagabend nach der Wahlfeier zu Hause, da blätterte PDS-Vordenker Andre Brie in den Werken der Arbeiterbewegung. Nicht die Geschichte der Kommunisten interessierte ihn.

Kaum war er am Sonntagabend nach der Wahlfeier zu Hause, da blätterte PDS-Vordenker Andre Brie in den Werken der Arbeiterbewegung. Nicht die Geschichte der Kommunisten interessierte ihn. Brie suchte nach den Traditionen der Sozialdemokratie in Sachsen. Die Ergebnisse seiner nächtlichen Studien präsentierte er am Montag auf der Vorstandssitzung der PDS im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. "Die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis in Sachsen seit 120 Jahren erzielt." 1903 erhielt sie dort 60 Prozent, bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag waren es gerade mal 10,7 Prozent.

Der Niedergang der SPD in den neuen Ländern verleiht der PDS ein ganz neues Selbstbewusstsein. "In Ostdeutschland ist die PDS nunmehr die zweite parteipolitische Kraft", sagte der Parteivorsitzende Lothar Bisky stolz nach der Sitzung des Parteivorstands. Doppelt so stark wie die SPD ist die PDS jetzt in Sachsen. Das verführt Bisky zu starken Worten. Der Absturz der SPD habe dramatische Ausmaße angenommen, stellt er fest und fügt lächelnd hinzu: "Doch die sozialdemokratische Tradition wird inzwischen ohnehin eher von der PDS bewahrt."

Die PDS verdankt ihre jüngsten Wahlerfolge nach der Einschätzung ihres Vorstandes einer klaren Oppositionspolitik. Und natürlich dem "konsequenten Eintreten der gesamten Partei für soziale Gerechtigkeit". Patsch. Wieder ein Seitenhieb gegen die gedemütigte Sozialdemokratie. Doch gleichzeitig empfiehlt sich Bisky der SPD in den neuen Ländern als quasi natürlicher Bündnispartner: Nicht die Offenheit der SPD zur PDS bestimme die Höhe der sozialdemokratischen Verluste, "sondern im Gegenteil der Grad der von der SPD ausgehenden Ausgrenzung gegenüber der PDS und der Annäherung an die CDU-Politik".

Als Beleg führt Bisky die Wahlergebnisse der SPD an: In Sachsen-Anhalt, wo sie seit 1994 mit der PDS zusammenarbeite, sei sie 1998 auf 35,9 Prozent gekommen. In Mecklenburg-Vorpommern, wo jetzt eine rot-rote Koalition regiert, auf 34,4 Prozent. In Thüringen "bei klarer Orientierung auf die Fortsetzung der CDU/SPD-Koalition" auf 18,49 Prozent, und die "sächsische SPD erhielt für ihren aggressiven Anti-PDS-Kurs 10,7 Prozent", heißt es in der Analyse des Parteivorstandes. Eine Größe, die sich zwischenzeitlich geändert hat, fehlt bei dieser Berechnung allerdings. In Mecklenburg und in Sachsen-Anhalt erzielte die SPD ihre Erfolge gegen eine Bundesregierung, die damals noch von CDU/CSU und FDP gestellt wurde.

Jetzt spricht PDS-Bundesgeschäfsführer Dietmar Bartsch von der "gewachsenen bundespolitischen Bedeutung" seiner Partei. Nach den Erfolgen im Osten soll der Aufbau im Westen forciert werden. In Schleswig-Holstein will die PDS auf jeden Fall bei der Landtagswahl antreten. Und in Nordrhein-Westfalen, wo die Genossen bei der Kommunalwahl mehr als 50 Mandate errungen haben, sollte die PDS nach Ansicht des Bundesgeschäftsführers bei der Landtagswahl im nächsten Jahr auch antreten. "Es läuft darauf hinaus", sagte er. Auf jeden Fall, wenn die Erfolgsserie anhält. PDS-Chef Bisky kann sich gut vorstellen, "dass die PDS eine Partei wird, die in Berlin vielleicht genauso viel Gewicht bekommt wie die SPD", hofft er.

Bisky räumte aber auch ein, dass seine Partei bei der programmatischen Erneuerung noch Defizite hat. Seit November 1998, als Bisky diese Erneuerung in Berlin angemahnt hatte, habe es wenig Bewegung gegeben. "Ich stelle fest, dass danach noch nichts passiert ist", sagte er. Aber die Wahlkämpfe hätten schließlich viel Energie gekostet. So konnte Sachsens PDS-Spitzenkandidat Peter Porsch in Berlin auch gönnerhaft der SPD empfehlen, sich wieder auf ihre Traditionen zu besinnen. Er habe in Sachsen die "Oppositionsführerschaft errungen", sagte Porsch und spottete vergnüglich weiter gegen den Verlierer Karl-Heinz Kunckel. Kunckel sei wegen des Staus auf dem Wege von Dresden nach Berlin umgekehrt, habe er gehört. Er, Porsch, sei dagegen "rechtzeitig zur Sitzung gekommen". Wie sich das für einen Wahlsieger eben gehört.

Carsten Germis

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