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Friedrich Merz vor einer Weltkugel (Montage)

© Montage: Tagesspiegel/Schneider/Reuters, freepik

Plötzlich Klimakanzler: Soll ausgerechnet Friedrich Merz jetzt die Welt retten?

Bald reist der Kanzler zur Weltklimakonferenz nach Belém. Ihm bietet sich die Chance, seinen Ruf als an Umweltfragen kaum interessierter Wirtschaftsliberaler zu korrigieren.

Stand:

Er steuert eine Privatmaschine, kennt keine „Flugscham“. Er hat im Wahlkampf über „grüne und linke Spinner“ geschimpft und einem „Klimakleber“ einst ziemlich unwirsch die Tür des Bundestages gewiesen: „Raus hier! Hauen Sie ab!“ Erst gerade hat Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung „Klimaschutz ohne Ideologie“ versprochen, was nicht wenigen als Euphemismus für gar keinen gilt.

Immerhin hat er überhaupt wieder einmal darüber gesprochen. Selbst in seiner CDU ärgern sich manche, dass dem Parteichef in Bundesvorstandssitzungen stets andere Themen wichtiger sind. Wenn er dann doch etwas zum Klima sagt, herrscht beim Koalitionspartner SPD gleich Alarmstimmung – im Sommer fand Umweltminister Carsten Schneider Sätze seines Chefs „ein wenig verunglückt“.

Stein des Anstoßes war die Binsenweisheit, dass die Bundesrepublik das Weltklima nicht allein retten kann. Merz ließ es Anfang Juli freilich so klingen, als könne man es sich auch ganz sparen, zum großen globalen Gemeinschaftswerk beizutragen: „Selbst wenn wir alle zusammen morgen klimaneutral wären in Deutschland, würde keine einzige Klimakatastrophe auf der Welt weniger geschehen, würde kein einziger Waldbrand weniger geschehen.“

Ihm haftet der Ruf eines fossilen Fossils an

Nein, der seit bald einem halben Jahr amtierende Bundeskanzler ist nicht als Vorkämpfer gegen die Erderwärmung bekannt geworden. Mehr noch: Der 69-Jährige gilt Klimaaktivistinnen und -aktivisten als politisches Fossil, das noch am Fossilzeitalter hängt und die nötige ökologische Transformation ausbremst. Die Rückabwicklung des Verbrennerverbots, die der deutsche Regierungschef auf EU-Ebene in Brüssel vorantreibt, passt perfekt in diese Erzählung.

1,5
Grad maximale Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau von 1850 bis 1900 – so war es 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart worden.

Nun fliegt ausgerechnet jener Merz zur Weltklimakonferenz, die vom 10. bis 21. November in Belém stattfindet. Zu deren Auftakt wird er in der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Pará sein, die als Tor zum Amazonasgebiet mit seinen bedrohten Regenwäldern gilt und symbolträchtiger Ort für die globale Klimadiplomatie ist. Genau dort hat das Gastgeberland versprochen, diese „wiederzubeleben“, zu einem mehr als kritischen Zeitpunkt.

Erst gerade hat es UN-Generalsekretär António Guterres aufgrund jüngster Daten als „unvermeidlich“ bezeichnet, dass die internationale 1,5-Grad-Marke überschritten wird. Bis zu einer solchen Erwärmung der Atmosphäre gelten die Folgen noch als halbwegs beherrschbar. Belém müsste dem von US-Präsident Donald Trump befeuerten Anti-Klimaschutz-Trend etwas entgegensetzen.

Den Koalitionspartner freut die Merz-Reise zur Conference of the Parties (COP), zur Vertragsstaatenkonferenz also. Statt mit Sätzen über das „Stadtbild“ zu polarisieren, zieht Merz die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das auch den Sozialdemokraten ein Anliegen ist. Dem SPD-Fraktionschef Matthias Miersch ohnehin, der eine lange Geschichte als Umweltpolitiker hat.

Es ist wichtig, dass der Kanzler die COP in Brasilien besucht, da die internationale Gemeinschaft aufgrund des Austritts der USA viel zu klären und zu kompensieren hat.

Matthias Miersch, SPD-Fraktionschef

„Es ist wichtig, dass der Kanzler die COP in Brasilien besucht, da die internationale Gemeinschaft aufgrund des Austritts der USA viel zu klären und zu kompensieren hat“, sagt Miersch dem Tagesspiegel: „Wir können mit der Natur nicht verhandeln. Es darf keinen Rückschritt geben.“

Plötzlich soll ausgerechnet Merz die Welt retten. Im Zusammenhang mit seiner Reise werden Erwartungen laut bei einem Thema, das bisher so gar nicht mit ihm in Verbindung gebracht wurde.

„Wenn sich Deutschland, Europa und Brasilien gemeinsam für einen ambitionierten Klimaschutz einsetzen, ist das ein starkes Signal für andere Länder, mehr zu tun“, sagt Ingrid-Gabriela Hoven, die im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sitzt. Für die Nichtregierungsorganisation Germanwatch fordert Oldag Caspar eine „klimapolitische Führungsrolle“ von Friedrich Merz.

Im Vergleich zur klimapolitischen Ambition vor fünf Jahren ist Friedrich Merz hinterwäldlerisch unterwegs. Im Vergleich zu Trump ist er immerhin jemand, der klimawissenschaftliche Erkenntnisse nicht leugnet.

Luisa Neubauer von Fridays für Future

Sogar Luisa Neubauer von Fridays for Future, die gerade erst eine Demo gegen des Kanzlers „Stadtbild“ angeführt hat, hegt noch Hoffnung. Schließlich ist alles relativ. „Im Vergleich zur klimapolitischen Ambition vor fünf Jahren ist Friedrich Merz hinterwäldlerisch unterwegs“, sagt sie. „Im Vergleich zu Trump ist er immerhin jemand, der klimawissenschaftliche Erkenntnisse nicht leugnet.“

Luisa Neubauer hat gerade gegen Merz’ „Stadtbild“ demonstriert – nun wünscht sie sich, dass er in der Klimapolitik auf den Tisch haut.

© AFP/John Macdougall

Sie sagt, sie wäre, wenn er nun in Belém danach handele, die Erste, die ihm gratulieren würde: „Wir haben in der Klimakrise nicht den Luxus, nachtragend zu sein.“ Etwas von der Polterei, die sie innenpolitisch so stört, sähe sie in Brasilien durchaus gern von Merz. „Er weiß ja, wie man auf den Tisch haut“, sagt Neubauer. „In Sachen Klima wäre es ein passender Moment, um auf den Tisch zu hauen.“

Ein Sauerländer mit Umweltbewusstsein

Kann der deutsche Regierungschef wirklich vorangehen? Will er das überhaupt? Folgt seine nächste inhaltliche Wandlung? Wird er gar zum Klimakanzler, der dem Pariser Abkommen zum zehnten Geburtstag neues Leben einhaucht?

Wer weiß – Merz könnte für eine Überraschung sorgen und eine bisher ziemlich unbekannte Seite von sich zeigen. „Ein Grüner werde ich sicher nicht“, hat er kurz vor Amtsantritt dazu gesagt, als ihm die Grünen gerade zig Milliarden Euro aus dem Infrastruktursondervermögen für das Klima abgetrotzt hatten, „aber ein Kanzler, der sich der umweltpolitischen Verantwortung stellt.“

Umweltbewusstsein besitzt er durchaus. Es speist sich vor allem aus der Naturerfahrung im heimischen Sauerland. Im Wald erfährt er joggend oder radelnd, was der Klimawandel anrichtet. Dass er mit Förstern vor Ort schon einmal den Spaten geschwungen und an Baumpflanzaktionen teilgenommen hat, spricht für ein Verständnis der ökologischen Bedeutung der Wälder.

Die politische Agenda der Weltklimakonferenz dürfte ihm schon deshalb gefallen. „Es wird stark um die klimaschützende Rolle von Wäldern gehen“, berichtet GIZ-Vorständin Hoven über einen vorbereitenden Besuch vor Ort: „Dazu gehört ein neuer Fonds zum weltweiten Schutz von tropischen Regenwäldern – den Lungen unseres Planeten.“

Längst sind Klimakonferenzen gleichzeitig Wirtschaftsmessen, bei denen Staaten und Unternehmen aus aller Welt ihre Entwicklungen präsentieren.

CDU-Vize Andreas Jung sieht keinen Widerspruch zum technologiefreundlichen Klimaschutz-Ansatz seines Parteichefs.

Spätestens in der Reisevorbereitung dürfte Merz dann auch merken, dass der internationale Klimaschutz keine große Verbotsorgie ist, die er bei den Grünen stets wortreich beklagt hat, sondern auch ein Geschäftsmodell in seinem wirtschaftsliberalen und auf technische Innovationen setzenden Sinne.

„Damit wird er auf offene Ohren stoßen“, sagt CDU-Parteivize Andreas Jung, zugleich der zuständige Fachmann der Unionsfraktion. „Längst sind Klimakonferenzen gleichzeitig Wirtschaftsmessen, bei denen Staaten und Unternehmen aus aller Welt ihre Entwicklungen präsentieren.“

Der Schutz der Wälder, wie hier im Amazonasgebiet, ist eines der Kernanliegen der Klimakonferenz von Belém.

© dpa/Filipe Bispo Vale

Die GIZ-Vertreterin Hoven berichtet davon, dass der Privatsektor in Belém viele Initiativen vorstellt, weil längst klar ist, dass Klimaschutz keine rein staatliche Aufgabe bleiben darf, sondern die Finanzpower großer Unternehmen braucht – oft gefördert von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, so etwa Siemens Energy im Gastland der Konferenz: „Dort haben wir seit 2016 zusammen mit einem brasilianischen Berufsbildungsanbieter bereits mehr als 23.500 Fachkräfte für erneuerbare Energie aus- und weitergebildet.“

Solche Technologiegeschichten gefallen Merz. Eine interne Anekdote verdeutlicht für Jung, dass sein Parteichef als Klimapolitiker unterschätzt wird – eben weil die Verzahnung zur Wirtschaft so eng ist: „Friedrich Merz hat folgenden Satz in den fertigen Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms geschrieben: Bei einem Prozent der Weltbevölkerung und zwei Prozent globalem CO₂-Ausstoß wollen wir zu 20 Prozent zur Lösung beitragen – mit Technologien für die Welt.“ Für diesen Anspruch sei „Belém der richtige Ort“.

So schwer war es für Jung und andere wohl nicht, den Kanzler von der Teilnahme zu überzeugen. Was wäre das umgekehrt für ein Signal, würde er nicht fahren – möglicherweise aus der Sorge heraus, mit dem mehrtägigen Südamerika-Trip noch mehr als „Außenkanzler“ zu gelten?

Die Bedenken waren schnell ausgeräumt, schließlich kann er Europa zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron repräsentieren und viele Staats- und Regierungschefs aus dem globalen Süden treffen. Und auch im Kanzleramt wird fast schon routiniert die Bedeutung des internationalen Klimaprozesses betont, den die Regierung natürlich weiter begleiten werde.

Schwarz-rote Klimapolitik nach Robert Habeck

So sehen das längst nicht alle. Die Skepsis gegenüber ihrer Klimapolitik ist groß. Vorbei die Zeit, als der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Anhebung der Klimaziele durch schwarz-rote Vorgängerregierungen deren Umsetzung anging – etwa durch das extrem umstrittene Heizungsgesetz. Die Ampel erleichterte den Ausbau der Erneuerbaren, lockte erst mit dem Neun-Euro-Ticket und später mit dem 49-Euro-Ticket mehr Menschen in Bahnen und Busse.

Die Welt fragt sich, was zum Henker los ist in dem Land, das noch vor wenigen Jahren als Vorreiter der Energiewende galt.

Luisa Neubauer von Fridays for Future

Am meisten stört Aktivistin Neubauer, dass Merz’ Regierung aus ihrer Sicht zu viele neue Gaskraftwerke bauen lassen will, um Windenergieflauten und Tage ohne Sonnenschein zu überbrücken. Das unterminiere die Verständigung auf der Klimakonferenz 2023, das Ende der fossilen Energien einzuleiten.

„Wenige Jahre später gehört Deutschland zu den 20 Staaten der Welt, die am meisten fossil expandieren“, kritisiert sie: „Die Welt fragt sich, was zum Henker los ist in dem Land, das noch vor wenigen Jahren als Vorreiter der Energiewende galt.“ Nicht einmal die eigenen Ansprüche setze Merz um, „der sich als Christ zur Schöpfung bekennt und als Jurist auch die Rechtslage kennen sollte“.

Nicht nur, dass die neue Regierung es allein den Ingenieuren überlassen will, den genauen Weg zum rechtsverbindlichen Klimaziel zu finden. Es gibt in der Union auch immer mehr Stimmen, die die sogenannte Klimaneutralität im Jahr 2045 infrage stellen – Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff zum Beispiel oder der frühere Junge-Union-Chef Tilman Kuban gehen in diese Richtung.

Eine wichtige Vorentscheidung in Brüssel

Nicht jedoch Friedrich Merz. Gemäß dem Koalitionsvertrag gab es von ihm kürzlich im Bundestag das „Bekenntnis, auch die Klimaziele bis 2045 zu erreichen und auch die Zwischenziele im Jahr 2040“. Er wolle „allen Zweifeln, die daran geäußert werden, hier ausdrücklich entgegentreten“.

Für seinen Parteivize Jung war das der Beweis, „dass ihm Klimaschutz wichtig ist und er sich dafür einsetzt“. Die Bekämpfung des Klimawandels bleibe auch für diesen Kanzler „eine herausragende Aufgabe – trotz der anderen drängenden Fragen“. In der SPD sorgen sie sich zwar wegen der anderen Stimmen in der Union, sie wissen aber auch, dass die Ampel weniger Geld fürs Klima hatte.

Mitentscheidend dafür, wie Merz künftig klimapolitisch gesehen wird, ist die nächste EU-Umweltministersitzung, die nächste Woche und damit noch vor Beginn der Weltklimakonferenz stattfinden soll. Bei ihrem vorangegangenen Treffen waren sie nicht zu einer fristgerechten Entscheidung gelangt, wie hoch Europas Emissionsminderung 2040 sein soll.

Obwohl der deutsche Koalitionsvertrag regelt, unter welchen Bedingungen Deutschland das Minus von 90 Prozent im Vergleich zu 1990 mitträgt, stimmten Berlins Regierungsvertreter in Brüssel dafür, die Chefs nochmals beraten zu lassen. Der EU-Gipfel vergangene Woche koppelte sein Bekenntnis an eine wirtschaftsfreundliche Ausgestaltung durch die Minister.

Ob das Ziel pragmatisch umgesetzt oder ausgehöhlt wird – daran hängt für Merz viel.

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