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Das Bundesamt für den Verfassungsschutz in Köln.

© dpa

Buch über den Verfassungsschutz: Überbürokratisierung der Sicherheitsbehörden

Der Verfassungsschutz läuft Gefahr, seiner Aufgabe nicht mehr gerecht zu werden, schreiben Thomas Grumke und Rudolf van Hüllen. Eine Rezension.

Von Frank Jansen

Der Ruf ist nicht gut. In öffentlichen Debatten wird der Verfassungsschutz häufig negativ bewertet. Lustvoll drapieren Teile der Medien und der Politik ihre Ansichten über den Nachrichtendienst mit Pannen, V-Mann-Affären und dem Geraune über einen angeblich drohenden Überwachungsstaat. Und der Verfassungsschützer an sich wird als „Schlapphut“ lächerlich gemacht. Positive Kommentare sind eher selten, erst recht seit dem Schock über die Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle NSU. Es spricht für sich, dass in diesem Fall die Versäumnisse des Staates überproportional dem Verfassungsschutz angelastet werden. Vom Versagen bei Polizei, Justiz und Ministerien ist kaum noch die Rede. So unpopulär wie der Verfassungsschutz ist offenbar nur noch der Bundesnachrichtendienst.

Das Buch dürfte Verfassungsschützer wie auch Kritiker der Behörde provozieren

Deutschland, scheint es, hat eine Geheimdienstphobie. Es mangelt zudem an wissenschaftlicher Expertise. Doch das scheint sich jetzt zu ändern. Wie es tatsächlich um den Verfassungsschutz steht, um Chancen, Risiken und Defizite, beschreiben zwei Experten in einem Buch mit dem schlichten Titel „Der Verfassungsschutz“, das als eine der wenigen profunden Analysen des Nachrichtendienstes gelten kann. Thomas Grumke, Professor für Politik und Soziologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen, und der Extremismusforscher Rudolf van Hüllen schildern detailliert, in welchem Zustand sich der Verfassungsschutzverbund – ein Bundesamt und 16 Landesbehörden – befindet. Beide Autoren waren selbst im Verfassungsschutz tätig. Dennoch oder gerade deshalb sind die mehr als 240 Seiten kein Gefälligkeitswerk. Das Buch dürfte Verfassungsschützer wie auch Kritiker der Behörde provozieren. Das lässt schon der Untertitel ahnen: „Grundlagen. Gegenwart. Zukunft?“

Das Fragezeichen ist ein Hinweis auf unbequeme Positionen. Grumke und van Hüllen diagnostizieren eine beunruhigende Wechselwirkung interner Schwächen des Verfassungsschutzes mit politischer Regelungswut. „Deutschland läuft Gefahr, mit seiner eklatanten Misstrauenskultur gegen Sicherheitsbehörden im Allgemeinen und den Verfassungsschutz im Besonderen, seinem kontraproduktiven überbordenden Datenschutz sowie seiner lähmenden und stets verwaltungsjuristisch geleiteten Überbürokratisierung einen Sonderweg einzuschlagen, der einer wirksamen Extremismus- und Terrorismusabwehr in hohem Maße abträglich ist“, lautet eine der zentralen Thesen des Buches.

„Ein Slalom mehr oder weniger sinnvoller Fortbildungen“

Dem Verfassungsschutz selbst bescheinigen Grumke und van Hüllen vor allem Mängel bei der Gewinnung von qualifiziertem Personal. „Nach wie gelten eine juristische Ausbildung und die fortlaufende Rotation durch viele Stationen der allgemeinen inneren Verwaltung als Maßstab für eine gute Führungskraft“, beklagen die Autoren. Demnach wird die Bürokratisierung, die Politik und Datenschutz dem Verfassungsschutz auferlegen, durch eine interne, mentale Bürokratisierung ergänzt.

Grumke und van Hüllen raten zu einer „Entschlackung“ der Bürokratie, um die Effizienz des Verfassungsschutzes zu steigern. Das analytische Niveau vieler Partnerdienste im Ausland ist laut Grumke und van Hüllen nur zu erreichen, wenn „der rotierende Verwaltungsjurist und der verwendungsbreite Generalist Auslaufmodelle werden“. Die Autoren fordern eine spezifische Verfassungsschutzausbildung als separaten Studiengang an den Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung. Dies wäre geeignet, „versiertes Personal, analog zur Polizeiausbildung“, hervorzubringen. Die Absolventen könnten sofort in der Auswertung von Erkenntnissen zu Extremismus und Terrorismus eingesetzt werden, anstatt erst „einen Slalom mehr oder weniger sinnvoller Fortbildungen“ zu durchlaufen.

Mag sein, dass Grumke und van Hüllen punktuell etwas zu hart urteilen. Der Verfassungsschutz kann nach dem NSU-Schock durchaus Erfolge vorweisen, die für eine Steigerung der Effektivität in der Auseinandersetzung mit dem militanten Rechtsextremismus sprechen. So gelang es dem Bundesamt, frühzeitig die Terrorgruppe „Oldschool Society“ in den Blick zu nehmen. Die Rechtsextremisten planten Anschläge auf Flüchtlinge und Moscheen, im Mai 2015 machte die Polizei dem Spuk ein Ende. Dennoch ist das Buch ein kräftiger Impuls für eine sachgerechte Debatte über den Verfassungsschutz der Zukunft.

Thomas Grumke, Rudolf van Hüllen: Der Verfassungsschutz. Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven? Verlag Barbara Budrich, Leverkusen 2016. 246 Seiten, 24,90 Euro.

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