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Politik: Porträt: "Nazijäger" Simon Wiesenthal

"Es gibt keine größere Sünde als das Vergessen!" Diese Worte galten Simon Wiesenthal als Lebensmotto.

Wien (20.09.2005, 11:13 Uhr) - Mehr als 50 Jahre lang suchte der als "Nazijäger" bekannt gewordene jüdische Architekt von Wien aus nach den Vordenkern und Vollstreckern des Holocausts, des Massenmordes an Millionen Juden. Durch diese Arbeit habe er sich «das Konzentrationslager um vier Jahrzehnte verlängert», sagte er einst. Er habe «keines dieser Foltergesichter je vergessen».

Bis ins hohe Alter hat Wiesenthal in seinem kleinen Büro in Wien gearbeitet. Sein Ziel: So viele Nazi-Täter wie möglich der Justiz zuzuführen. Rund 1100 von ihnen will er enttarnt haben. Sein spektakulärster Erfolg war sicher die Entdeckung des SS- Obersturmbannführers Adolf Eichmann, der 1960 vom israelischen Geheimdienst Mossad aus Argentinien entführt, in Israel zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet wurde. In diese Reihe stellt er auch die Enttarnung des Wiener Polizisten Karl Silberbauer 1963, der die 14-jährige Anne Frank in Amsterdam hatte verhaften lassen. Oder das Aufspüren des KZ-Kommandanten von Treblinka, Franz Stangl, im Jahre 1967 in Brasilien.

Wiesenthal wurde am 31. Dezember 1908 in der Nähe von Lemberg (heute: Ukraine) geboren, das damals noch zu Österreich-Ungarn gehörte. Von 1941 bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner in Mauthausen im Mai 1945 hatte er mehrere Konzentrationslager durchlitten und überlebt. Auch seine Frau Cyla, der er zuvor noch einen «Arier-Nachweis» beschaffen konnte, überlebte. Doch beide verloren 89 Familienangehörige und Verwandte. Seit 1947 widmete sich das von ihm gegründete «Jüdische Dokumentationszentrum» in Wien der Suche nach ehemaligen Nazi-Schergen. Er betrachtete dies nicht zuletzt als «Testamentsvollstreckung» für eine junge Jüdin, die vor ihrer Ermordung im KZ in ihr Tagebuch geschrieben hatte: «Vergesst uns nicht, und vergesst nicht unsere Mörder!»

Wiesenthals kleines Dokumentationszentrum, indem er 6000 Akten über mutmaßliche Täter und die komplette SS-Führungsliste mit 90 000 Namen ansammelte, war in der Wiener Innenstadt untergebracht, dort wo einst das österreichische Gestapo-Hauptquartier stand. Insgesamt 3000 Fällen ging er selbst nach. Von hier aus gab er seine Informationen an Geheimdienste und Regierungen weiter, die jedoch - wie er selbst beklagte - vor allem während des Kalten Krieges nicht immer handelten.

Dass ein Mann wie Wiesenthal sich bei seiner Arbeit Feinde machte und Konflikte provozierte, war zwangsläufig. Fast schon berühmt ist seine Auseinandersetzung mit dem österreichischen Bundeskanzler und Sozialdemokraten Bruno Kreisky, selbst jüdischer Abstammung. Dieser drohte mit der strafrechtlichen Verfolgung, ja selbst mit der «Ausbürgerung» Wiesenthals, als der Nazijäger Dokumente vorlegte, wonach mehrere sozialdemokratische Politiker eine Nazi-Vergangenheit hatten. Kreisky nannte Wiesenthal öffentlich einen «Nestbeschmutzer» und einen «unnützen Moralisten». 1982 explodierte vor Wiesenthals Haus eine Bombe, die Neonazis dort versteckt hatten.

Im Frühjahr 1996 wurde Wiesenthal ausgerechnet von jüdischer Seite in den USA angegriffen. Er habe «in allen großen Nazi-Fällen der Nachkriegs-Ära - Bormann, Barbie, Mengele, Eichmann - versagt», behauptete der Chef der Abteilung NS-Verfolgung im US- Justizministerium, Eli Rosenbaum. Er sei «inkompetent, egomanisch, ein Verbreiter falscher Informationen, eine tragische Figur». Der frühere Chef des israelischen Geheimdienstes, Isser Harel, bezeichnete Wiesenthals Rolle bei der Eichmann-Ergreifung als Mythos. «Wir haben von Wiesenthal nichts bekommen, das von irgendwelcher Bedeutung für die Operation war. Alle seine Behauptungen waren falsch».

Die meisten dieser Anschuldigungen wurden inzwischen widerlegt. Die britische Journalistin Hella Pick, die mit ihrer Familie als Kind aus dem von Hitler annektierten Österreich fliehen musste, bezeichnete die Äußerungen Harels in ihrem Wiesenthal-Buch als «Schelte eines vom Leben enttäuschten Geheimdienstlers», der nur eigene Verdienste gelten lassen wollte. Wiesenthal selbst führte die Vorwürfe aus den USA in den 90er Jahren auf seine Weigerung zurück, den ehemaligen UN-Generalsekretär und österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim 1986 als Kriegsverbrecher zu brandmarken. Stattdessen hatte er die Einsetzung einer Historikerkommission vorgeschlagen.

Unbestritten sind die zahllosen Auszeichnungen und Würdigungen, die Wiesenthal aus aller Welt erhielt. Mindestens 18 Doktorhüte erhielt der Mann, dessen Autobiografie den Titel «Recht, nicht Rache» trägt. Und 1977 wurde in Los Angeles das «Simon Wiesenthal Holocaust Center» gegründet, das sich auch nach seinem Ruhestand der Jagd auf NS-Täter verschrieben hat. (Von Christian Fürst, dpa)

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