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© Reuters

Präsidentschaftswahl: Juschtschenko hat Vertrauen verspielt

Fünf Jahre nach der Revolution wird in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt – Amtsinhaber Juschtschenko gilt als chancenlos.

Der Nikolaus wählt Julia Timoschenko. „Es sind zwar alles Verbrecher“, nuschelt der Mann durch seinen weißen Rauschebart, doch der Premierministerin traut er am meisten zu, der Ukraine endlich die erhoffte Stabilität zu bringen. Ein tiefer Zug an der Zigarette, dann geht der Nikolaus wieder an die Arbeit. Auf seinem kleinen Schlitten hat im leichten Schneefall ein turtelndes Paar Platz genommen. Der junge Mann mit dem angeklebten Bart und dem abgewetzten roten Mantel schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Während der Weihnachtszeit, die in der orthodoxen Ukraine im Januar gefeiert wird, lässt er sich als Nikolaus für wenig Geld mit kitschigen Requisiten vor dem Opernhaus in Lemberg (Lwiw) fotografieren. Nur einen Steinwurf entfernt, den Prospekt der Freiheit hinunter, am Rande eines kleinen Weihnachtsmarktes, stehen verloren drei verschiedenfarbige Zelte. Dort herrscht Wahlkampf. Doch die meisten Passanten gehen achtlos an den Helfern vorbei. Kaum zu glauben, dass an diesem Sonntag in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt werden soll. Es ist die erste Wahl eines neuen Staatsoberhauptes seit der Orangenen Revolution 2004.

Bleibt doch einmal jemand bei den Zelten stehen, kommt es schnell zu hitzigen Diskussionen. Immer wieder fällt dann der Ausdruck „Verbrecher“, so sieht das Volk seine politische Elite. Mit großen Erwartungen waren die Menschen einst in eine neue Zukunft gestartet. Die Ukraine würde bewundert von der ganzen Welt für ihre friedliche Revolution, deren Besetzung aus einem Hollywood-Drehbuch stammen könnte. An der Spitze stand ein schwer gezeichneter Mann, der nur knapp einem Mordanschlag seiner feigen Widersacher entgangen war. An seiner Seite eine hübsche Frau, die dem System mutig die Stirn bot. Doch Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko haben ihre Chance nicht genutzt. Anstatt an der Zukunft des Landes zu bauen, verloren sich die beiden Ikonen der Revolution im hässlichen Kampf um die Macht. Die Quittung bekommen sie jetzt, ein halbes Jahrzehnt danach. In der Gunst der Wähler steht an der Spitze Viktor Janukowitsch, der Mann, der 2004 die Abstimmung gefälscht hatte und dafür in Schimpf und Schande davongejagt worden war. Fast ein Drittel der Ukrainer wollen ihm am 17. Januar ihre Stimme geben. Auf 20 Prozent kann Julia Timoschenko hoffen. Weit abgeschlagen mit unter fünf Prozent: Amtsinhaber Viktor Juschtschenko.

Doch der noch amtierende erste Mann im Staate glaubt nach wie vor an seine Chance. Auf den riesigen Wahlplakaten an den Ausfallstraßen in Lemberg verspricht er dem Volk, bis zur Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine 7000 Kilometer Straßen zu bauen. „Wir müssen froh sein, dass sie uns das Turnier wegen der schlechten Organisation nicht in letzter Sekunde wieder wegnehmen“, gibt der verkleidete Nikolaus aus Lemberg seine Einschätzung von der Lage. Damit kommt er der Realität wesentlich näher als der Staatschef, der das Vertrauen der Menschen längst verspielt hat. Wenig ist von den einstigen zentralen Versprechen Juschtschenkos geblieben, das Land in Richtung Westen zu führen. Fit für die Aufnahme in die Europäische Union wollte er die Ukraine machen. Doch davon ist der Staat noch weiter entfernt als vom ebenfalls anvisierten, Nato-Beitritt.

Diese beiden großen Themen spielen im aktuellen Wahlkampf allerdings keine Rolle. Alle insgesamt 18 Kandidaten versprechen höhere Renten, bessere Straßen, Schulen und Krankenhäuser. Doch jeder weiß, was solche Aussagen angesichts der globalen Wirtschaftskrise wert sind, die die Ukraine so hart getroffen hat wie kaum ein anderes Land in Europa. Also klammern sich die Wähler vor allem an die Hoffnung, dass nach dem Chaos endlich stabile Verhältnisse einkehren. Offensichtlich scheint das Volk am ehesten Viktor Janukowitsch zuzutrauen, dieses Ziel zu erreichen. Wie ein Chamäleon hat er sein Image seit 2004 Schritt für Schritt verändert. Vom verspotteten Schoßhund des Kremls scheint er in den Augen der Menschen zum unabhängigen Macher geworden zu sein. Nun plädiert er für eine gemäßigte Politik gegenüber Russland, spiegelt die Nato-Skepsis der meisten Ukrainer wider und betreibt eine kritische Annäherung an die EU.

Weil Janukowitsch erkannt hat, dass die Wahlen am Wochenende nicht nur mit den Stimmen des traditionell russlandfreundlichen Ostens zu gewinnen sind, wagte er sich vor einigen Tagen sogar zu einem Wahlkampfauftritt nach Lemberg im äußersten Westen des Landes. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre er, der einstige „Russen-Diener“, in der Hochburg der ukrainischen Nationalisten gnadenlos untergegangen. Heute wird er dort als Politiker empfangen, der durchaus das ganze Land repräsentieren könnte.

Und so scheint es auf einen Zweikampf zwischen Janukowitsch und Timoschenko hinauszulaufen – falls nicht noch der Ex-Zentralbankchef Serhij Tihipko aufholt. Da wahrscheinlich kein Kandidat die absolute Mehrheit erringen kann, wird es wohl zur Stichwahl am 7. Februar kommen. Aber auch danach dürfte die versprochene Stabilität nicht einkehren. Wahrscheinlich werden die Verlierer das Ergebnis anfechten. Möglich ist, dass der Sieger oder die Siegerin eher früher als später das heillos zerstrittene und im Moment entschlussunfähige Parlament in Kiew auflösen wird. Der zukünftige Präsident kann sich dann willfährige Mehrheiten zusammensuchen und damit den eigenen Einfluss zementieren.

Schließlich gibt es im Spiel der Mächte in Kiew noch eine große Unbekannte: Russland. Moskau betrachtet die ehemalige Sowjetrepublik Ukraine noch immer als sein Interessengebiet. Mit großem Misstrauen dürfte Wahlfavorit Viktor Janukowitsch registriert haben, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden kühlen Machtmenschen Wladimir Putin und Julia Timoschenko sehr gut funktioniert. Es heißt, Russlands Premier habe seiner Amtskollegin jüngst sogar per SMS zum neuen Jahr gratuliert.

Knut Krohn[Lemberg]

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