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Nicht nur Schlagen ist Gewalt: Psychische Misshandlung hinterlässt bei Kindern massive Spuren.

© Getty Images

Präventionskampagne des Kinderschutzbunds: Die vielen Gesichter der Gewalt

Misshandlung fängt nicht erst an, wenn Eltern die Hand erheben. Darauf will der Kinderschutzbund mit einer neuen Kampagne aufmerksam machen.

Übergroße Liebe, abgrundtiefe Wut: Zum Leben als Elternteil gehören starke Gefühle dazu. Was jedoch, wenn Mütter und Väter ihre negativen Emotionen nicht mehr unter Kontrolle haben? Eine neue Kampagne des Kinderschutzbunds will für das Problem psychischer Gewalt gegen Kinder sensibilisieren — denn Misshandlung fängt, so die Stoßrichtung der Kampagne, nicht erst bei Schlägen oder sexuellen Übergriffen an.

Wer seinem Kind immer wieder sagt, es sei ohnehin zu dumm, wer es systematisch ignoriert, um sich nicht mit der Wut des Kindes auseinandersetzen zu müssen, wer es vor anderen bloßstellt oder demütigt, wer es mit Liebesentzug straft, weil Pflichten im Haushalt nicht erfüllt wurden, der kann auf Dauer immensen seelischen Schaden anrichten. Das sagt auch Bernhard Huf, Leiter der Erziehungs- und Familienberatung der Caritas im Land Berlin.

Wie weit das gehen kann, weiß Huf aus der Beratungspraxis. Er erinnert sich an den Fall einer Mutter, die zu ihrem zweitgeborenen Kind aufgrund einer postnatalen Depression keine Bindung aufbauen konnte. Die Familie mietete eine zweite Wohnung an, nur noch dort durfte das Zweitgeborene, gemeinsam mit dem Vater, übernachten, weil die Mutter befürchtete, ihrem eigenen Kind nachts Gewalt anzutun.

Schrecklicher Kreislauf der Gewalt

Wer schon im Babyalter so abweisend von der eigenen Mutter behandelt wird, dessen Gesundheit ist nach Hufs Einschätzung in Gefahr. Kleine Kinder könnten sich weder verbal noch durch Handeln wehren und würden gerade deshalb oft mit seelischen und körperlichen Symptomen reagieren.

„Fälle wie dieser zeigen, dass Familien oft in einem ganz schrecklichen Kreislauf gefangen sind“, sagt er. „Denn bei einer solchen Eskalation spielt in aller Regel die eigene biografische Prägung des betreffenden Elternteils eine große Rolle.“

Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbunds, stellte am Dienstag in Berlin die Kampagne seines Verbands vor, die auf das Thema der emotionalen Gewalt und psychischen Misshandlungen aufmerksam machen soll. Anlass war der Weltkindertag, mit ihm auf dem Podium saß Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Unter dem Titel „Gewalt ist mehr, als Du denkst!“ will der Kinderschutzbund in den kommenden zwei Jahren in den sozialen Medien und durch Straßenplakate für Aufmerksamkeit sorgen.

Eine riesige Aufgabe: Das Leben mit Kind.
Eine riesige Aufgabe: Das Leben mit Kind.

© dpa / Christian Charisius

Hilgers wies auf das seiner Ansicht nach „hanebüchene Gewaltverständnis“ hin, das etwa dem Familienrecht noch immer zugrunde liege. Immer wieder würden Familiengerichte Urteile sprechen, die ihn fassungslos machten. So werde Vätern, die wegen schwerer Misshandlung ihrer Kinder oder wegen Gewalt gegen ihre Ex-Partnerin vorbestraft seien, nach Trennungen immer wieder ein Umgangsrecht zugesprochen. Das verfassungsgemäße Elternrecht werde zulasten der Schwächsten der Gesellschaft durchgesetzt, sagte Hilgers.

Familienministerin Paus sagte, bei der Klärung des Sorge- und Umgangsrechts nach Trennungen solle künftig sichergestellt sein, dass Kinder vor Gewalt geschützt würden. Eine entsprechende Neuregelung sei in Arbeit. Psychische Gewalt sei weniger sichtbar als körperliche Misshandlung, habe aber genauso schwere Auswirkungen. Paus erinnerte an die Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Ampel, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das war schon in der vergangenen Legislaturperiode das gemeinsame Ziel der damaligen Großen Koalition. Es hätte eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat gebraucht, trotz intensiver Verhandlungen konnten sich Regierung und Opposition aber nicht auf eine Formulierung einigen.

Die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).
Die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne).

© via REUTERS7 Fabian Sommer

Im Jahr 2021 haben die Jugendämter deutschlandweit bei knapp 60.000 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. Als häufigste Ursache wird in der Statistik Vernachlässigung geführt (45 Prozent), psychische Misshandlung wurde am zweithäufigsten gezählt (18 Prozent). Körperliche Misshandlung wurde in 13 Prozent der Fälle festgestellt, sexuelle Gewalt in vier Prozent. Dazu kommen 21 Prozent der Fälle, in denen mehrere Gefährdungsarten gleichzeitig vorlagen. Hilgers wies darauf hin, dass sich die Formen der Gewalt in der Praxis nicht klar voneinander abgrenzen ließen.

„Es gibt keine andere Gewaltform, ohne dass emotionale Gewalt dabei ist und vorweggeht“, sagte Hilgers. Als Beispiel nannte er Täter sexuellen Missbrauchs, die Kindern androhten, sie müssten ins Heim, wenn sie sich einem Dritten hilfesuchend anvertrauen würden. Insofern versteht Hilgers eine höhere gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Formen psychischer Gewalt auch als Prävention gegen körperliche und sexuelle Übergriffe. Wer miterlebe, dass ein Kind psychischer Gewalt ausgesetzt sei, müsse damit rechnen, dass andere Gewaltformen folgten, sagte Hilgers.

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