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Außenminister Johann Wadephul nimmt an der Konferenz zur Zweistaatenlösung im Nahen Osten vor der Generaldebatte der UN-Vollversammlung teil.

© dpa/Kay Nietfeld

Pro & Contra : Sollte die Bundesregierung Palästina als eigenen Staat anerkennen?

Um Deutschland wird es in der Nahost-Politik einsam. Wichtige Partner erkennen Palästina als Staat an, während die Bundesregierung darauf pocht, dies könne nur der abschließende Schritt sein.

Stand:

Mehr als ein Dutzend EU-Staaten erkennen Palästina als Staat an, darunter ein so wichtiger Partner Deutschlands wie Frankreich. Die Bundesregierung betont, ein solcher Schritt komme derzeit nicht infrage.

Sollte Deutschland Palästina als Staat anerkennen? Hier eine Stimme dafür und eine dagegen.


PRO

Mehr als 150 UN-Mitglieder erkennen Palästina inzwischen als Staat an. Mit Großbritannien und Kanada seit dem Wochenende auch die ersten G7-Staaten. Am Montag hat Frankreich nachgezogen, wodurch nun mehr als ein Dutzend EU-Mitglieder mit dabei sind. Es ist ein Schritt, den auch Deutschland gehen sollte. Er ist überfällig und alternativlos.

Denn ohne eine Zweistaatenlösung wird es keinen Frieden in Nahost geben. Israelis wie Palästinenser haben Anspruch auf Selbstbestimmung und sichere Grenzen. Frieden entsteht nicht zwischen einem Staat und einem Volk, sondern zwischen zwei gleichberechtigten Staaten.

Gerade Deutschland trägt hier eine besondere Verantwortung. Solidarität mit Israel ist Teil der deutschen Identität. Doch Sicherheit für Israel kann auf Dauer nur gewährleistet sein, wenn auch die Palästinenser in einem eigenen Staat in Würde leben können. Wer Palästina anerkennt, handelt nicht gegen Israel, sondern für Stabilität und eine friedliche Nachbarschaft.

Diplomatie lebt von Symbolen – und dieses Symbol ist entscheidend.

Anja Wehler-Schöck befürwortet eine Anerkennung Palästinas.

Die Anerkennung setzt zugleich ein klares Zeichen gegen die Politik der Netanjahu-Regierung. Diese verfolgt erklärtermaßen das Ziel, eine Zweistaatenlösung zu verhindern, und treibt die Annexion des Westjordanlands voran. Illegaler Siedlungsbau, Siedlergewalt und militärische Übergriffe zerstören jede Aussicht auf Verständigung. Palästina anzuerkennen, macht daher auch deutlich, dass dauerhafte Besatzung keine Lösung ist.

Natürlich: Eine Anerkennung palästinensischer Staatlichkeit beendet nicht den Krieg in Gaza und sie befreit keine Geiseln. Aber sie stärkt jene Palästinenser, die auf Diplomatie statt auf Gewalt setzen. Und sie entzieht der Hamas die Deutungshoheit über die Zukunft des palästinensischen Volkes.

Genau das fordert auch die jüngste UN-Resolution vom 12. September, der auch Deutschland zugestimmt hat. Sie verurteilt den Terror der Hamas und bekräftigt zugleich die Schaffung eines palästinensischen Staates – ohne die Hamas.

Diplomatie lebt von Symbolen – und dieses Symbol ist entscheidend. Deutschland fordert seit Jahren die Zweistaatenlösung. Jetzt muss die Bundesregierung zeigen, dass sie diese Perspektive durch ihr Handeln konsequent vorbereitet.


CONTRA

Die Anerkennung eines Staats Palästina durch mehrere Mitglieder der EU und der G7 kann kein Vorbild für Deutschland sein. Es ist eine Symbolhandlung, geboren aus Ärger über die Regierung Netanjahu in Israel und Rücksicht auf innenpolitischen Druck in diesen Ländern. Sie trägt nichts zur Lösung der drängenden Probleme im Nahen Osten bei und richtet sogar Schaden an.

Palästina erfüllt die Grundanforderungen für Staatlichkeit nicht. Es gibt zwar ein Staatsvolk und ein Staatsterritorium, die im Teilungsplan definierten Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen. Aber es fehlt als drittes Element eine legitime Regierung, die verbindliche Absprachen, zum Beispiel im Friedensprozess mit Israel, treffen und durchsetzen kann.

Die Fatah im Westjordanland und die Hamas im Gazastreifen sind verfeindet und haben im jeweils anderen Landesteil nichts zu sagen. Eine Staatsgewalt, die von dem gespaltenen Staatsvolk respektiert und vom Ausland anerkannt werden kann, gibt es schlicht nicht.

Es deutet auch nichts darauf hin, dass eine Anerkennung Israels Vorgehen beeinflusst. Im Gegenteil: Das Vorpreschen einiger spaltet die EU und die G7 und macht eine gemeinsame Haltung zum Nahostkonflikt vollends unmöglich. Eine gemeinsame EU-Strategie wäre die einzige Chance gewesen, überhaupt Einfluss auf Israel und die Israelpolitik der USA zu nehmen. Auf eine EU, die so sichtbar gespalten ist, werden Netanjahu und Trump erst recht nicht hören.

Die Anerkenner stecken einen zu hohen Teil ihrer begrenzten Zeit und Energie für Außenpolitik in eine symbolische Handlung ohne Ertrag. Die fehlt dann anderswo.

Christoph von Marschall ist gegen eine Anerkennung Palästinas.

Die Anerkennung müsste am Ende eines Friedensprozesses stehen. Wenn sie vorzeitig erfolgt, behindert das den Friedensprozess, weil sie Druck von den Palästinensern nimmt, ihren Teil beizutragen. Ganz voran: Ein Staat Palästina muss Israel Schutz vor Terrorangriffen garantieren wollen und können.

Die Hamas feiert die Anerkennung als ihren Erfolg und Bestätigung für ihre Strategie von Gewalt und Terror. Auch wenn das nicht die Absicht der anerkennenden Staaten ist: De facto belohnen sie den Aggressor.

Gewiss dürfen und müssen Regierungen in Europa und der übrigen Welt ihren Protest gegen das blutige Vorgehen Israels im Gazastreifen mit Taten untermauern. Da gibt es jedoch klügere Instrumente als die Anerkennung eines de facto nicht existierenden Staats Palästina, etwa personengebundene Sanktionen gegen die Verantwortlichen in Israel.

Zur Schadensbilanz gehört auch: Die Anerkenner stecken einen zu hohen Teil ihrer begrenzten Zeit und Energie für Außenpolitik in eine symbolische Handlung ohne Ertrag. Die fehlt dann anderswo.

Sie sollten sie besser in eine prioritäre Interessenfrage Europas investieren: die Unterstützung der Ukraine. Der Ausgang des Ukrainekriegs wird über das weitere Schicksal Europas entscheiden. Von der derzeit absehbaren Entwicklung in Palästina kann man das wohl kaum sagen.

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