zum Hauptinhalt
Die rechtsstaatliche Aufklärung des Todes von Santiago Maldonado forderten Demonstranten am Mittwoch in Buenos Aires.

© Javier Caamano/Imago/Agencia EFE

Proteste in Argentinien: Demonstranten fordern Gerechtigkeit für Santiago Maldonado

Vor einem Jahr verschwand der Aktivist Santiago Maldonado nach einem Protest spurlos in Patagonien. Zwei Monate später tauchte seine Leiche auf. Viele glauben, der Staat sei in den Fall verwickelt.

Ein Jahr nach dem Verschwinden des Aktivisten Santiago Maldonado im Rahmen einer gewaltsamen Auseinandersetzung der indigenen Mapuche mit Sicherheitsbehörden fanden am Mittwoch in verschiedenen Städten Argentiniens Proteste statt. Die Demonstranten und die Familie Maldonados sind davon überzeugt, dass die Regierung in den Fall des später tot aufgefundenen Argentiniers verwickelt ist und fordern Ermittlungen von unabhängigen Stellen. Sergio Maldonado, der Bruder Santiagos, hatte zu den Aktionen aufgerufen.

Die Demonstranten gedachten aller Opfer

Auf der zentralen Plaza de Mayo in Buenos Aires versammelten sich gestern am frühen Abend (Ortszeit) nach einem Protestmarsch durch die Innenstadt hunderte Demonstranten. Verschiedene Menschenrechtsgruppen und linke Organisationen waren vor Ort. Viele in der Menge hielten Schilder mit einem weithin bekannten Foto Maldonados hoch, auf dem er mit langen dunklen Haaren und Vollbart abgebildet ist und eindringlich in die Kamera schaut. Sie fordern "Verdad y Justicia" - Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel klagte in einem Fernsehinterview während der Demonstration Justiz und Regierung unter Präsident Mauricio Macri an. "Die Verantwortung liegt bei der Regierung Macris - bei der Justiz die dieser Regierung gegenüber gefällig ist. Deswegen verlangen wir nach einem Jahr weiterhin Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung." Die Demonstranten gedachten nicht nur Maldonado, sondern allen Menschen, die während der "Diktatur und der Demokratie" verschwanden.

Kurz vor seinem Tod reiste er als Backpacker durchs Land

Am 1. August 2017 blockierte der 28-jährige Santiago Maldonado gemeinsam mit anderen Aktivisten die Ruta 40, eine wichtige Straße im Nordwesten Patagoniens. Maldonado, der aus Buenos Aires stammt und damals als Backpacker durch das Land reiste, hatte sich dem Protest am Vortag angeschlossen. Die Mapuche forderten die Rückgabe von Ländereien, die der Modefirma Benetton gehören. Nachdem staatliche Sicherheitskräfte die Straßenblockade gewaltsam aufgelöst hatten, fehlte von Maldonado jede Spur. 78 Tage später wurde seine Leiche gefunden: im Fluss Chubut, nur ein paar hundert Meter entfernt von der Stelle, an der Militärpolizei und Demonstranten aufeinander getroffen waren.

Das Verschwinden Maldonados sorgte für Aufruhr im Land

Das Schicksal Maldonados ist immer noch mit einem Fragezeichen versehen. Eine Kommission von 55 Experten gab etwa einen Monat nach dem Fund des Leichnams bekannt, dass der Kunsthandwerker ohne Fremdeinwirkung ertrank. Zweifel an dieser Darstellung werden vor allem laut, da Taucher die spätere Fundstelle der Leiche im Fluss vorher bereits mehrmals erfolglos abgesucht hatten. Zudem berichteten Zeugen, gesehen zu haben, wie der Aktivist am 1. August - also dem Tag der Demonstration - von Polizisten in ein Fahrzeug gezerrt wurde.

Seine Familie, Menschenrechtsorganisationen und viele Argentinier sind davon überzeugt, dass die Polizei Maldonado ermordet hat und sein Leichnam später an den Fundort brachte. Die Polizeibeamten vor Ort und die Regierung unter Präsident Mauricio Macri bestreiten dies. Bevor am 17.Oktober 2017 die Leiche entdeckt wurde, spekulierten Anhänger der Regierung darüber, dass Maldonado sich nach Chile abgesetzt habe und nur Aufsehen für die Sache der Mapuche erregen wolle.

Erinnerungen an die Militärdiktatur wurden wach

Der Fall sorgte für großes Aufsehen im Land, verursachte politischen Tumult und weckte bei den Argentiniern die Erinnerung an die Diktatur von 1976 bis 1983. Damals ließ die Militärjunta zwischen 10 000 und 30 000 Argentinier verschwinden, die sie als linke Oppositionelle ansahen. Die meisten dieser 'Desapericidos' genannten Opfer wurden gefoltert und ermordet, ihre Körper in Massengräbern verscharrt oder verbrannt.

Nach einem Monat ohne Lebenszeichen von Maldonado gingen in Buenos Aires Zehntausende auf die Straße und forderten unter anderem den Rücktritt der für die Polizei zuständigen Ministerin Patricia Bullrichs. Damals kam es zu Ausschreitungen mit 23 Verletzten.

Politiker instrumentalisierten den Tod

Maldonados Leiche wurde nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen am 22. Oktober 2017 gefunden. Deshalb sagten alle Parteien die letzten Wahlkampfveranstaltungen ab. Cristina Fernández de Kirchner, Gegenkandidatin des amtierenden Präsidenten Mauricio Macri, kritisierte, dass der Fall Maldonados die Gleichgültigkeit Macris gegenüber armen und an den Rand gedrängten Bevölkerungsschichten deutlich mache. Kirchner, der Korruption vorgeworfen wird, unterlag Macri zwar bei der Wahl, sicherte sich aber einen Sitz als Senatorin - der sie vor einer möglichen Strafverfolgung bewahrte.

Die Mapuche fordern die Rückgabe ihres Bodens

Modeunternehmer Luciano Benetton ist einer der größten Landbesitzer Patagoniens. Seit 1991 gehören dem italienische Konzern 900 000 Hektar Land in Argentinien - das ist mehr als die zehnfache Fläche Berlins - die er zur Schafzucht nutzt. Landkonflikte mit den Mapuche gibt es in Patagonien schon lange. 2004 wurde eine Mapuche Familie, die auf Benetton Land siedelte, von der Polizei vertrieben. Zu Recht wie ein Gericht später entschied.

Ein Sprecher Benettons ließ damals verkünden, exzellente Beziehungen mit der Mapuche-Gemeinschaft zu haben und verwies auf von dem Konzern geförderte Projekte in der Region. Die etwa 100 000 Mapuche, die heute noch im Süden Argentiniens leben, betonen dagegen, dass das Land ihren Vorfahren gehörte und jeder Verkauf illegitim gewesen sei.

Ein weiterer Aktivist starb durch Kugeln in den Rücken

Die Mapuche kämpfen deshalb weiterhin für die Landrückgabe. Ende November 2017 wurde Rafael Nahuel während des Einsatzes von Spezialeinheiten gegen eine Landbesetzung nahe der Stadt Bariloche von hinten erschossen. Ermittlungen ergaben, dass er mit der Waffe eines Mitglieds der Spezialeinheit getötet wurde. Die Spezialeinheiten behaupteten dagegen, die Aktivisten hätten selber Waffen gehabt und der 21-Jährige sei aus den eigenen Reihen erschossen worden. An den Händen Nahuels und zweier anderer Aktivisten seien Schmauchspuren gefunden worden. Ein Gericht soll dieser Tage die Hintergründe des Todesfalls aufklären. Das Land, um das es bei dieser Demonstration ging, gehört der staatlichen Nationalparkverwaltung.

Rebecca Stegmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false