zum Hauptinhalt

Prozess: Russlands Strafvollzug vor Gericht

Die Revolte war eine der schlimmsten in der russischen Justizgeschichte: Etwa 200 Jugendliche hatten im Oktober 2007 gegen den inhumanen Vollzug in einer Strafkolonie für Minderjährige aufbeghrt. Es kam zu einer blutigen Auseinandersetzung.

Moskau - In weiser Voraussicht hatte das Gebietsgericht von Jekaterinburg im Ural den Prozess im größten Saal des Gebäudes anberaumt. Der ist, trotz der wenigen Zuschauer, dennoch zu klein: Jeder der 45 Verteidiger hat einen eigenen Tisch, und für jeden der 45 Angeklagten wurde ein Einzelkäfig aus Metallstäben aufgestellt. Verhandelt wird gegen die Rädelsführer eines Aufstands in einer Strafkolonie für Minderjährige. Etwa 200 Jugendliche hatten im Oktober 2007 gegen den inhumanen Vollzug aufbegehrt, die Kommandantur angesteckt und danach versucht zu flüchten. Beim Handgemenge, das dabei mit dem Vollzugspersonal entstand, gab es die ersten sechs Verletzten. Weitere 15 wurden schwer verwundet, als die von der Anstaltsleitung angeforderte Verstärkung eintraf: paramilitärische Truppen des Innministeriums, die von der Schusswaffe Gebrauch machten. Zwei Häftlinge und ein Beamter starben später an ihren Verletzungen.

Die Revolte war eine der schlimmsten in der russischen Justizgeschichte. Die Anstaltsleitung kam bisher dennoch erstaunlich milde davon. Drei Beamte wurden nach einer vorgerichtlichen Untersuchung beurlaubt, weitere drei kassierten eine Abmahnung. Neun müssen sich jetzt allerdings in Jekaterinburg zusammen mit ihren einstigen Schutzbefohlenen vor Gericht verantworten. Kritische Medien, die schon bei der Niederschlagung der Revolte Unverhältnismäßigkeit und Inkompetenz kritisierten, hoffen, dass bei dem Prozess auch der Jugendstrafvollzug als Institution zur Sprache kommt.

Akuter Reformbedarf besteht in der Tat. Das postkommunistische Russland hat die im zaristischen Russland eingerichteten und später von den Sowjets perfektionierten Arbeits- und Erziehungskolonien nahezu kritiklos übernommen. Über 12 000 Jugendliche zwischen 14 und 18 verbüßen gegenwärtig in 62 Jugendstraflagern ihre Haftstrafen. Die meisten Erzieher bekamen ihre Ausbildung noch zu Sowjetzeiten. Mit den Problemen, die seit dem Systemwechsel auf sie zukommen, sind sie überfordert. Nach der Haftentlassung der Jugendlichen ist die Rückfallquote hoch. Die Besserungsanstalten seien in ihrer derzeitigen Form Brutstätten für Berufskriminelle, kritisieren russische Bürgerrechtler. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false