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Politik: Putins "Diktatur des Gesetzes" für kritische Fernsehsender?

Diktatur des Gesetzes, für die Wladimir Putin im Wahlkampf warb, oder Diktatur der Macht? Diese Frage könnte alsbald schon über Sein oder Nichtsein unabhängiger Medien in Russland entscheiden.

Diktatur des Gesetzes, für die Wladimir Putin im Wahlkampf warb, oder Diktatur der Macht? Diese Frage könnte alsbald schon über Sein oder Nichtsein unabhängiger Medien in Russland entscheiden. Wie jetzt bekannt wurde, arbeitet das Presseministerium bereits an einem "Projekt zur Restrukturierung des Rundfunks". Offiziell wird das Vorhaben mit der Notwendigkeit begründet, den Markt von nicht effektiv arbeitenden Unternehmen zu säubern.

Das sind, da Russland auf einen gebührenfinanzierten Rundfunk verzichtet, allerdings vor allem die Staatssender. Allein deren Schulden bei der Telekommunikationsbehörde, die für die Ausstrahlung kassiert, belaufen sich auf mehrere Millionen Dollar.

Doch um die geht es gar nicht. Eigentliches Ziel der Attacke sind regimekritische private Radio- und TV-Kanäle. Ihnen soll jetzt mit einer Neuvergabe der Sendelizenz der Garaus gemacht werden. Als potenzieller Abschusskandidat gilt in erster Linie die Media-Most-Holding, zu der mehrere Zeitzungen, der Radiosender "Echo Moskwy", vor allem aber der TV-Sender NTW gehören. Dessen Macher sind bereits mehrfach wegen unfreundlicher Berichterstattung aus Tschetschenien und Unterstützung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Grigorij Jawlinskij aufgefallen.

Gefährdet sind außerdem TV-Zentr - der Haussender von Moskaus Oberbürgermeister Jurij Luschkow und der halbstaatliche Kanal ORT. Beider Lizenzen wurden bereits neu ausgeschrieben. Anfangsgebot sind 30 Millonen Rubel (2,2 Millionen Mark). Bewerber müssen ihre Unterlagen - ein Programmkonzept und den schlüssigen Nachweis, dass die Antragsteller in der Lage sind, ihre Ideen auch umzusetzen - bis spätestens 8. Mai einreichen und für die bloße Teilnahme am Wettbewerb eine Million Rubel (etwa 74 0000 Mark) hinblättern. Die Entscheidung soll am 24. Mai fallen.

Zwar hält bei ORT der Staat 51 Prozent der Aktien. Eigentlicher Herr im Hause aber ist gegenwärtig Multimilliardär Boris Beresowskij, der den Sender über ein verschachteltes System von Strohmännern kontrolliert. Dass der den Sender im Wahlkampf auf Putin einschwor, Gegner Jawlinskij dagegen - erfolgreich - als Kandidaten von Ausländern, Schwulen und Lesben verunglimpfte, will wenig besagen: Als einstiger Hausmeier von Boris Jelzin ist Beresowskij tief in die Korruptions- und Geldwäsche-Skandale der "Familie" verstrickt und wird als Bauernopfer gebraucht, sollte Volkes Zorn irgendwann den kritischen Punkt erreichen. Zudem setzt Putin als Exponent der militärischen Eliten ohnehin auf andere "Oligarchen" - die mächtigen Gruppierungen der Rüstungsindustrie.

Eine radikale Neuordnung in den Führungsetagen von ORT ist nach Meinung von Experten längst überfällig: Dessen Programm wird auf der Frequenz des ehemaligen sowjetischen Staatsfernsehens ausgestrahlt und ist in weiten Teilen noch immer konkurrenzlos.

Putin, eröffnete Ex-Vizepremier Boris Nemzow dieser Tage dem Radiosender Echo Moskwy, sei daher "wild entschlossen, ORT unter persönliche Kontrolle zu nehmen." Xenia Ponomarjowa, die in seinem Wahlkampfstab eine tragende Rolle spielte, wurde bereits zur neuen Programmchefin ernannt und soll ihren Job gleich nach Neuvergabe der Lizenz antreten.

Ein "ungutes Vorgefühl" hat Anna Katschkajewa, die Medienexpertin des US-Auslandssenders Radio Liberty, dessen Moskauer Büro ebenfalls von der Schließung bedroht ist. Irgend etwas, meint Katschkajewa, werde passieren und zwar bald.

Es ist schon passiert: ORT durfte ungestraft den Konkurrenten NTW als staatsgefährdend bezeichnen. Die Begründung: Eigentümer Wladimir Gussinskij ist Jude.

Die Tage des freien Wortes seien in Russland gezählt, warnte auch der Präsident der Stiftung "Glasnost", Alexej Simonow. Der eigentliche Verlierer des neuen Kurses, warnt er, seien allerdings nicht nur die Medien, sondern die Öffentlichkeit. Die aber scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil: Laut Umfragen von "Echo Moskwy" vermuten zwar 81 Prozent, unter Putin werde die Pressefreiheit eingeschränkt. Gleichzeitig aber wies die Mehrzahl der Befragten den Medien eine "eher dienende Stellung" innerhalb der russischen Machthierarchien zu.

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