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Politik: Raketen zum Jubiläum

Von Stephan-Andreas Casdorff

Das ist mal wieder das Europa, wie wir es lieben. Und das 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge in dieser historischen Woche. Die Damen und die Herren kümmern sich um jedes Detail, gerne auch um den Grad der Krümmung bei Bananen, aber wenn es um Krieg und Frieden geht – dann ist die Leitung lang. Transatlantisch lang. Da müssen erst Helmut Schmidt, Ex-Kanzler, und Joschka Fischer, Ex-Außenminister und Ex-Professor, kommen und die Europäer wachrufen? Peinlich! Es ist – ja, darf man’s sagen – zum In-die-Luft-Gehen.

Und genau damit hat es zu tun, im weitesten Sinn: mit der Frage, ob es ein Raketenabwehrsystem der Amerikaner in Polen und Tschechien geben soll. Sicher, zurzeit gibt es weder das System, also genauer eines, das funktioniert, noch die Raketen im Iran und in Nordkorea, gegen die es funktionieren soll. Aber alleine schon die Ankündigung der Freunde in Übersee, mit niemandem vorher besprochen, verursacht Aufregung, ja Empörung. Letzteres bei den Russen, weil sie erstens als alte Sowjets, die sie immer noch sind, jede Abwertung oder Geringschätzung ihrer internationalen Rolle überhaupt nicht ertragen können. Zweitens fühlen sie sich allerdings auch nicht ganz zu Unrecht getroffen von den USA, die ihrerseits längst wichtige Verträge gekündigt haben, die ein Raketenabwehrsystem verhindern würden. Nun ist es aber so, dass die vielen, die keines haben, danach trachten könnten, anstelle dessen Raketen zu bauen, möglichst viele sogar, die das System überwinden. Auch Staaten, die bisher keine Atomwaffen haben, könnten die jetzt haben wollen. Je schneller, desto gefährlicher. Das nennt man dann: Rüstungswettlauf.

Jedenfalls nennt Helmut Schmidt das so und warnt entsprechend – und zwar diesmal vor den Gefahren einer Art Nachrüstung. So weit ist es gekommen mit den Europäern. Mehr noch: Selbst in den USA formiert sich Widerstand von sogenannten Falken, von Konservativen in Bezug auf Waffen und Rüstung und Sicherheit, angeführt von den Republikanern Henry Kissinger und George Shultz bis zu den Demokraten Sam Nunn und William Perry. Dazu passt dann am Rande Joschka Fischer, der mahnt, die Europäer sollten jetzt ganz schnell ihre Interessen definieren. Und zwar gegen jeden sacro egoismo, nicht zuletzt den der USA.

Richtig, die Debatte muss beginnen, und sie muss dort geführt werden, wo sie hingehört: a) in der Europäischen Union, b) in der Nato, der westlichen Wertegemeinschaft mit den USA. Wer weiß, was er will – oder nicht will –, der muss es dennoch sagen, damit nichts passiert, von dem es nachher heißt, das es mal einer hätte sagen sollen. Die Amerikaner vertragen eine klare Ansprache, sie können nur das Fintieren und Finassieren früherer Jahre nicht mehr ertragen.

Weil das alles so ist, durfte Kurt Beck durchaus sagen, was ihn als Nachfahren von Willy Brandt im Amt des Ersten Sozialdemokraten umtreibt, wenn er das Wort Raketen hört. Becks Maximalposition könnte auch dazu dienen, Abrüstung möglich zu machen, in jeder Hinsicht, bei Waffen und bei Worten. Ein bisschen Provokation gehört dazu, damit sich alle mal positionieren. Jedenfalls wäre es besser, wenn er das so und nicht anders gemeint haben wollte. Denn Brandt hätte gewusst, dass es etwas gibt, das wichtiger ist als aktuell niedrige Umfragewerte oder das Leiden einer Partei an einer Politik, die sie in einer Koalition mitverantworten muss.

Sollte es aber anders sein, und sollte Beck von seiner Meinung keine Abstriche machen wollen, hätte Europa in seinem Kern ein Problem, weil die deutsche Koalition eines hätte, ein massives, das bis hin zu ihrem Bruch reichen kann. Denn die Kanzlerin und CDU-Chefin denkt nicht so wie Beck, redet auch nicht so. Angela Merkel ist bei der Raketenabwehr nicht in genereller Abwehr. Sollten sie und Beck keinen Weg zueinander finden (obwohl der einfach wäre, siehe oben), muss entschieden werden, notfalls durch Wahlen. Ob Beck das wirklich heute mit „Goslar II“ riskieren will, ob er mit einem Nein à la Gerhard Schröder punkten will?

Dann sollte er sich doch lieber noch einmal die Bananen vornehmen.

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