zum Hauptinhalt

Politik: Rassismus in Russland nimmt stetig zu

Justiz ermittelt aber meist nur wegen „Rowdytum“

Sie töteten ihn mit einem Schuss in den Hals – Lamsar Samba, einen 22-jährigen Senegalesen, der in St. Petersburg studierte. Unweit vom Tatort fand die Polizei eine Gaspistole mit einem Hakenkreuz. Es ist nicht der erste Fall. Allein im südrussischen Woronesch, einer Stadt mit knapp 800 000 Einwohnern, wurden in den letzten zwei Jahren vier farbige Studenten umgebracht. Für 2004 registrierte das Moskauer Büro für Menschenrechte 44 Morde mit rassistischem Tathintergrund, in der ersten Hälfte 2005 mindestens zehn, dazu über 200 Verletzte bei weiteren Überfällen. Hochburgen der Ausländerfeindlichkeit sind Großstädte wie Moskau und St. Petersburg. Hunderte Neonazis durften in Russlands Hauptstadt Anfang November bei einer genehmigtem Demonstration nazistische Symbole zeigen, Parolen wie „Russland den Russen“ grölen und die Rechte zum Nazi-Gruß erheben. Worten folgten schnell Taten: Ein Überfall auf eine Moskauer Synagoge im Januar mit acht Verletzten, diverse Überfälle auf Gastarbeiter aus den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken, Diplomaten aus Afghanistan, Unternehmer aus Schwarzafrika oder Studenten aus China. Ende März traf es sogar den Kultusminister der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien, Saur Tutow.

Gerade in Polizei und Justiz seien Rassismus und Ausländerfeindlichkeit besonders verbreitet, warnen Experten seit längerem. Sogar den Fall Tutow wollte die Staatsanwaltschaft daher anfangs so niedrig hängen wie zuvor fast alle Überfälle auf Andersgläubige oder Fremdstämmige. Ermittelt wird nur wegen Rowdytum. Den Tatbestand „Rassenhass“ dagegen fürchteten die staatlichen Ankläger. Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Immerhin brachten die Völker der Sowjetunion im Kampf gegen den Faschismus den größten Blutzoll. Entsprechend schwer tut sich daher das postkommunistische Russland mit der Erkenntnis, dass weite Teile der Bevölkerung bei Umfragen Aussagen wie „Russland den Russen“ eher oder ganz zustimmen.

Motiv ist meist Sozialneid. Obwohl die Mehrheit der Russen die dreckigen, schlecht bezahlten Jobs der Gastarbeiter nie machen würde und die farbigen Studenten nicht mehr Kostgänger eines kommunistischen Staates sind, der die Revolution exportieren will, sondern für ihre Ausbildung in harten Devisen zahlen. Kritische Sozialwissenschaftler erklären wachsenden Fremdenhass denn auch mit allgemeinen Demokratiedefiziten und sorgsam kultivierten Bedrohungslügen der Sowjetära, wonach für interne Missstände vor allem äußere Feinde verantwortlich sind.

Die Aufklärung des Mordes an dem Studenten aus Senegal hat Valentina Matwijenko, Oberbürgermeisterin von St. Petersburg, inzwischen zur Chefsache erklärt. Die Stadt ist Gastgeber des G-8-Gipfels im Juli und Spitzenreiter im Rassismus. Allein im Vorjahr wurden 1072 einschlägige Überfälle aktenkundig. Im spektakulärsten Fall urteilte Ende März ein Geschworenengericht jedoch milde: 2004 hatten sechs Jugendliche eine Tadschiken-Familie mit Küchenmessern überfallen und ein neunjähriges Mädchen getötet. Obwohl der Staatsanwalt rassistische Motive für bewiesen hielt und die ganze Strenge des Gesetzes forderte, erkannte das Gericht nur auf Rowdytum.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false