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Politik: „Reform ist dringend nötig“

DGB-Vize Engelen-Kefer dringt auf die Bürgerversicherung – auch für die Pflege

Experten sprechen bei der Pflegeversicherung von der „größten tickenden Zeitbombe“ des Sozialsystems …

Das sehe ich nicht so. Allerdings ist eine Reform dringend erforderlich. Ohne Absicherung bleiben die Pflegeleistungen vor allem an den Frauen hängen. Männer und Frauen müssen aber die gleichen Chancen haben, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Wir haben eine zunehmende Lebenserwartung der Menschen. Das ist verbunden mit zunehmendem Pflegebedarf. Das kann man nicht Einzelnen oder der Familie überlassen. Hier muss sich die Gesellschaft engagieren.

Sie meinen, die Gesellschaft muss sich stärker engagieren?

Zunächst geht es darum, vorhandene Mittel bestmöglich einzusetzen. Wenn man die Heimpflege mit besserer ambulanter Pflege verringern könnte, wäre das auch eine Kostenersparnis. Und gerade in den unteren Einkommensschichten könnte man der Pflegebedürftigkeit entgegenwirken durch bessere Arbeitsbedingungen, Bildung und Anleitung zu gesundheitsbewussterem Verhalten. Aber Sie haben Recht: Es ist auch dringend erforderlich, Demenzkranke einzubeziehen. Und die Pflegeleistungen müssen dynamisiert werden, gemäß der Preisentwicklung. Von daher wird man unterm Strich wohl höhere Ausgaben haben. Hinzu kommt die demografische Veränderung, die zu weiterem Kostenanstieg führen wird.

Wo soll das Geld herkommen? Sozialministerin Ulla Schmidt schlägt vor, die Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung einzuebnen.

Ich halte das für durchaus bedenkenswert. Was Einnahmen und Ausgaben betrifft, haben wir in der Pflegeversicherung einen noch weit gravierenderen Unterschied als in der Krankenversicherung. Bei den Privaten gibt es deutlich mehr Besserverdienende, Jüngere, Gesundheitsbewusstere und Beschäftigte, die weniger krank machenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Das heißt, die Ausgaben sind dort deutlich geringer als die Einnahmen, und dadurch hat die private Pflegeversicherung ein erhebliches finanzielles Polster. Bei der gesetzlichen Pflegesicherung ist es genau umgekehrt. Mit einer Zusammenlegung könnte man für viele Jahre die finanziellen Probleme insgesamt lösen. Das heißt bessere Leistungen, ohne dass die Beiträge erhöht werden müssten. Eine Bürgerversicherung für die Pflege wäre also sinnvoll.

Verstehen Sie denn, warum sich die Grünen hier so reserviert verhalten?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wenn man die Bürgerversicherung in der Krankenversicherung will, ist es in keinem Fall zu rechtfertigen, dass man sie in der Pflegeversicherung nicht will. Der Nettoeffekt ist hier, gleichzeitig verbunden mit größerer Solidarität, doch am stärksten.

Skeptiker sagen, man darf ein funktionierendes System nicht durch die Fusion mit einem nicht funktionierenden zerstören.

Es geht um die Frage der Solidarität. Für eine künstliche Trennung, die am Einkommen bemessen ist, gibt es keine Begründung. Ebenso wenig gibt es einen Grund dafür, jemandem wegen seines Einkommens eine private Versicherung zu verbieten, von der er sich vielleicht bessere Leistungen verspricht.

Mit der Union ist eine Bürgerversicherung nicht zu machen. Ist es sinnvoll, jetzt bei der Pflegeversicherung solche Forderungen zu stellen – und damit die dringend nötige Reform weiter zu verzögern?

Wir brauchen dringend Veränderungen bei der Pflege. Und wir erwarten als Gewerkschaften, dass bei der Reform die Verbesserungen für die Menschen im Vordergrund stehen. Das heißt: Einbeziehung der Demenzkranken, Dynamisierung der Leistungen, Verbesserung der ambulanten Pflege, mehr Vorsorge. Das muss jetzt mindestens auf den Weg gebracht werden. Und das ist möglich, wenn es solidarisch finanziert wird. Die CDU/CSU sollte das nicht aus Wahlkampfgründen blockieren. Es geht aber natürlich auch um eine ganz klare Richtungsentscheidung: Wollen wir mehr Solidarität oder wollen wir Privatisierung?

Das Gespräch führte R. Woratschka

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