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Sie beäugen einander kritisch. Auch nach dem Wechsel an der FDP-Spitze blieb der erhoffte Neuanfang in der Koalition aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Vizekanzler Philipp Rösler ist es bisher nicht gelungen, die Wogen zu glätten.

© dpa

Politik: Regierende Leere

Ob Griechenland-Krise, Atom oder innere Sicherheit: Das Misstrauen in der Koalition nimmt zu – und ein gemeinsames Ziel fehlt

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Als Angela Merkel am vergangenen Mittwoch der FDP-Fraktion einen Besuch abstattete, traf sie dort zunächst auf eine eisige Stimmung. Gerade erst hatte die Kanzlerin beim Atomthema ihrem kleinen Koalitionspartner unmissverständlich klargemacht, dass sie ihre Ziele durchsetzen will und dabei nicht bereit ist, allzu große Rücksichten auf dessen Befindlichkeiten zu nehmen. Und auch bei der Gewährung neuer Milliardenhilfen für Griechenland, die besonders in der FDP kritisch gesehen werden, durften die Anwesenden kein Entgegenkommen erwarten.

Doch statt der bekannten Technokratin gab eine geradezu schwärmerische Kanzlerin Treueschwüre für das schwarz-gelbe Regierungsprojekt ab. Sie sollten wohl schwarz-grüne Liebäugeleien vergessen machen, die die FDP zwei Wochen lang schier zur Weißglut getrieben hatten. Niemand, umwarb Merkel die Liberalen, niemand sollte an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln. Schließlich habe sie elf lange Jahre auf das gemeinsame Traumprojekt warten müssen. Und wer so lange auf den anderen wartet, der schmeißt die ersehnte Zweisamkeit doch nicht leichtfertig hin.

Man mag die schmeichelnden Worte von Frau Merkel an jenem Abend im Kreis der FDP wie Balsam auf das geschundene Selbstbewusstsein empfunden haben. Und tatsächlich zeigte sich später ja auch der eine oder andere Liberale so versöhnt, dass ihm die eigenen Zweifel an der Griechenland-Hilfe ganz klein und nichtig vorkamen. Doch was steckt wirklich hinter den schönen Worten? Sucht Merkel lediglich vor der Sommerpause noch ihre Atomgesetze und das Griechenland-Hilfspaket mit den Stimmen der FDP zu retten, um danach in Ruhe neue Optionen auszuloten? Auch, wenn Neuwahlen in diesem Jahr trotz der schwachen SPD für sie ein hochriskantes Experiment wären. Oder setzt Merkel eher darauf, aus Schwarz-Gelb bis 2013 mehr und mehr ein schwarzes Projekt zu machen und die FDP wahlweise zu provozieren oder zu umgarnen? Je nachdem, wie es gerade nötig ist, damit bei der nächsten Bundestagswahl das Ergebnis der Union stimmt.

Wie auch immer die Kanzlerin kalkuliert: Hört man in ihre Koalition in diesen Tagen hinein, dann fällt zweierlei auf: Das Misstrauen und die Gleichgültigkeit im Umgang miteinander nehmen zu. Und die Abwesenheit eines verbindenden Ziels, das dem Bündnis innere Legitimität bis zur nächsten Bundestagswahl verleihen könnte, wird mit jedem Tag sichtbarer und mittlerweile sogar von niemandem mehr bestritten. Es stimmt: Immer wieder gab es Krisen in dieser Partnerschaft und immer wieder so etwa wie einen Neubeginn. Jetzt aber scheint’s, als nähere sich das Bündnis jenem Stadium, dass zwei Eheleute erreicht haben, deren Partnerschaft im Grunde vorbei ist und die nun nur noch darauf warten, dass die Kinder aus dem Haus sind.

Vor allem die Union sucht nach der schmachvoll erzwungenen Kehrtwende in der Energiepolitik und den nicht enden wollenden Notoperationen der Euro-Rettung händeringend nach Vorzeigbarem für die eigene Wählerschaft. Und das nun offenbar auch immer unverfrorener zulasten des Koalitionspartners. Zum Beispiel bei der inneren Sicherheit. Mit beachtlicher Derbheit reagierten Christdemokraten und die CSU zum Ende der Woche auf den Gesetzentwurf von FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Von Provokation war in CDU und CSU die Rede und davon, dass der Vorschlag der Ministerin noch nicht einmal als Verhandlungsgrundlage akzeptiert werde. Gleichzeitig machte die Kanzlerin von sich aus Druck: Sie wünsche sich eine rasche Einigung, ließ Merkel feststellen. Deutschland brauche die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Terror und Verbrechen.

Parallel dazu öffnet Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) die Option einer deutschen Beteiligung an Friedenstruppen in Libyen. Muss das Durchdrücken der Vorratsdatenspeicherung als offene Kampfansage an die Bürgerrechtspartei FDP verstanden werden, korrigiert de Maizières außenpolitische Wende die in der Union weitgehend missbilligte Libyen-Haltung von FDP-Außenminister Guido Westerwelle. In beiden Fällen ist die Botschaft klar: Die Union will ihr Profil – sowohl des Sicherheitsgaranten als auch des transatlantischen Bündnispartners, der seine internationale Verantwortung wahrnimmt – schärfen. Von Rücksicht auf die FDP keine Spur.

Und das, wo die FDP gerade vor aller Augen bei den Atomgesetzen Federn lassen musste und sich ohnehin so wenig selbstgewiss ist wie selten in den letzten Monaten. Hat doch der Sturz ihres ungeliebten Vorsitzenden Westerwelle und die Charmoffensive von Philipp Rösler und seiner Boygroup noch nicht einmal kurzfristig zur Versöhnung mit der einstigen Anhängerschaft geführt. Nach wie vor hängen die Liberalen im Umfragebereich des Außerparlamentarischen fest. Und in der Fraktion sickert langsam die Erkenntnis durch, dass der Wechsel zu Rösler mitnichten dazu führen muss, dass es bergauf gehen wird. Schlimmer noch: Im Augenblick sieht es so aus, als sei nicht die Kanzlerin, sondern Rösler selbst der Frosch, den man ganz langsam im Wasserbad abkochen wird.

Es mag eine unglückliche Ansammlung von Zufällen sein, dass Indiskretionen dieser Tage das Bild vom rücksichtslosen Umgang der Union mit der FDP geprägt haben. Zuerst nährten Berichte den Verdacht, Rösler sei dem CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble beim Gespräch über eine mögliche Steuersenkung auf den Leim gegangen und habe einer ganz kleinen Lösung zugestimmt. Später sah es sogar so aus, als habe sich der FDP-Chef dann auch noch wie ein Schulbub von Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer die letzten FDP-Forderungen bei der Atomwende aus der Hand nehmen lassen. Merkel hat der FDP am Mittwoch versichert, dass das alles ohne Hintersinn geschah. Doch wer glaubt schon an Zufälle in der Politik? Zumal, wenn ganz zufällig in Bayern auch noch die CSU beim Abfallwirtschaftsgesetz im Landtag offen mit der Opposition gestimmt hat – gegen den eigenen liberalen Koalitionspartner. In der FDP jedenfalls sorgt das alles für nicht enden wollenden Verdruss. Denn nicht die Union, sondern vor allem die Liberalen stecken in der Zwickmühle fest.

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