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Regierungskrise: Der Nuklearpakt spaltet Indien

Die Kommunisten in Delhi sind gegen den Atomvertrag mit den USA und drohen der Regierung.

Für die Regierung ist es ein historischer Pakt, der Indien in die erste Liga der Weltmächte führt. Für die Kritiker ist es ein Zeugnis der Unterwerfung gegenüber Washington: Das Nuklearabkommen mit den USA spaltet Indien und hat die Regierung von Manmohan Singh in die schwerste Krise ihrer dreijährigen Amtszeit gestürzt. Journalisten spekulieren bereits über vorgezogene Neuwahlen, den Sturz der Regierung oder Singhs Rücktritt.

Neben der großen Oppositionspartei BJP kritisieren die vier kommunistischen Parteien den Deal und drohen, der Regierung ihre Unterstützung zu entziehen, sollte diese das Abkommen nicht stoppen. Singhs von der Kongresspartei geführte Koalition ist auf die 60 Stimmen der Kommunisten angewiesen, die die Minderheitenregierung stützen. Zwar ist fraglich, ob die Kommunisten tatsächlich die Regierung stürzen würden. Aber sie könnten Singhs Autorität massiv untergraben und seinen Spielraum weiter beschneiden. Teile der Kongresspartei liebäugeln bereits mit Wahlen vor dem eigentlichen Termin 2009.

Es ist nicht der erste Streit zwischen Regierung und Kommunisten. In der Sozial- und Wirtschaftspolitik fanden sie oft nur mühsam Kompromisse. Doch diesmal scheint keine der beiden Seiten bereit, grundsätzlich nachzugeben. Die traditionell US-feindlichen Kommunisten bemängeln, der Deal mache Indien abhängig von den USA und eröffne Washington Einfluss auf Außenpolitik und Atomwaffenprogramme.

Erstmals in seiner Amtszeit wurde der sonst sanftmütige Singh öffentlich laut: „Ich habe ihnen gesagt, dass sie tun sollen, was immer sie wollen. Und wenn sie der Regierung ihre Unterstützung entziehen wollen, sei’s drum.“ Der Ausbruch zeigt, wie gereizt die Stimmung ist. Singh verknüpft sein politisches Schicksal mit dem Deal. Der Wirtschaftsexperte hat nicht nur nach jahrzehntelanger Eiszeit die Wende Indiens hin zu den USA forciert, er hat auch persönlich viel investiert. Vielen gilt der Deal als das Kernstück seiner Regierungszeit – und als Eckpfeiler der indisch-amerikanischen Annäherung. Die Blockadehaltung der Kommunisten bringt die Regierung Singh nun in eine peinliche Lage. Denn die Linken haben mit ihrer Drohung lange gewartet. Die Verhandlungen mit den USA sind unter Dach und Fach, auch das Kabinett in Delhi hat das Abkommen gebilligt. Nun stehen die entscheidenden Gespräch mit der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien und der „Nuclear Suppliers Group“ (NSG) an.

Die Atommacht Indien hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. Durch den Pakt mit den USA mit Namen „123“ würde Indien nach über drei Jahrzehnten seine Pariarolle verlieren und ähnlich behandelt wie die fünf anerkannten Atommächte. Dies würde Indien erlauben, von den USA Technik und Brennstoff für die zivile Nutzung von Atomkraft zu kaufen. Im Gegenzug muss Indien seine zivilen Atomanlagen von Wien kontrollieren lassen. Umstritten ist, ob Indien Atomtests machen darf.

In Indien lebt das Trauma der britischen Kolonialherrschaft fort. Die Frage der Souveränität ist hochsensibel und emotionsgeladen, besonders bei militärischen und außenpolitischen Fragen. Kriege gelten in Indien, das mit seinem Nachbarn Pakistan verfeindet ist und mit China zumindest rivalisiert, als reale Gefahr. Auch Antiamerikanismus spielt eine Rolle. Teile der Bevölkerung haben Angst vor einer Kolonialisierung durch die Hintertür. Doch Singhs Kurs hat auch Befürworter. Eine Umfrage der „Times of India“ in acht Städten ergab, dass 58 Prozent das Nuklearabkommen bejahen. Jedoch sind 58 Prozent auch dafür, den Verhandlungsprozess zu stoppen, bis alle Details geklärt sind.Wahrscheinlich werden dies Regierung und Kommunisten nun tun: Laut „Hindustan Times“ wollen beide Seiten eine Arbeitsgruppe bilden, um das Abkommen zu durchleuchten. Zugleich werde die Regierung ihre Gespräche mit der Atomenergiebehörde wohl bis November verschieben, hieß es.

Christine Möllhoff[Delhi]

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