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Renate Künast: "Koch und Kellner – diese Zeiten sind vorbei"

Renate Künast sprach mit dem Tagesspiegel über rot-grüne Erfahrungen, die Mobilität der Zukunft und drängende Fragen an die Kanzlerin zu Afghanistan.

Frau Künast, wieder sind Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gefallen. Muss man nicht spätestens jetzt sagen: Deutschland ist im Krieg?

Vier deutsche Soldaten haben ihr Leben verloren. Das ist erschütternd. Wortklaubereien bringen uns in dieser Lage nicht weiter. Die Bundesregierung muss jetzt sagen, wie es in Afghanistan weitergehen soll.

Die Kanzlerin und der Verteidigungsminister sprechen von Krieg, die Soldaten sowieso. Was ist falsch daran?

Natürlich empfinden die Menschen die Auseinandersetzung in Afghanistan als Krieg, auch wenn die Völkerrechtler korrekterweise von einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt sprechen. Ich finde es in Ordnung, wenn die Politik die Empfindung der Menschen auch zum Ausdruck bringt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: Wenn die Bundesregierung weiter von Krieg spricht, muss der Einsatz im Bundestag neu zur Abstimmung gestellt werden.

Ich kann mich über Gabriel nur wundern. Gerade jetzt sollte man der Versuchung widerstehen, mit einem Streit um Begriffe parteipolitisches Kapital zu gewinnen. Wenn man die Dinge nüchtern betrachtet, wird klar: Die extreme Gefährdungssituation der Bundeswehr in ihrem Einsatzgebiet im Norden bestand bereits vor der Verlängerung des Bundestagmandats im Februar. Und natürlich hat die SPD auch gewusst, dass der Einsatz gefährlicher wird, wenn deutsche und afghanische Soldaten gemeinsam in der Fläche patrouillieren, um die Sicherheitslage der Bevölkerung zu verbessern.

Glauben Sie, dass der Kampf gegen die Taliban noch gewonnen werden kann?

Das wird eine Ewigkeit dauern und nur mit einem konsequenten Aufbau gelingen. Auf jeden Fall wird dieser Kampf nicht während der Anwesenheit der Bundeswehr gewonnen werden können. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Es geht darum, den Afghanen zu helfen, dass sie selbst für ihre Sicherheit sorgen und im Kampf gegen gewaltbereite Taliban bestehen können.

Wann kann die Bundeswehr raus aus Afghanistan?

Die Bundeswehr muss innerhalb weniger Jahre abziehen. Das geht aber nur, wenn in dieser Zeit gewaltige Fortschritte beim zivilen Aufbau erzielt werden. Die Bundesregierung hat bisher kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie sie diese Fortschritte ermöglichen will. Ich rufe die Bundeskanzlerin deshalb dringend dazu auf, im Bundestag darzulegen, wie die neue Afghanistan-Strategie umgesetzt werden soll. Wir wollen genau wissen, bis wann wie viele afghanische Soldaten und Polizisten ausgebildet werden. Wir wollen wissen, wie der Aufbau der Gerichte, der Aufbau der Wirtschaft und der Ausbau der Infrastruktur vonstatten gehen sollen. Angesichts der Gefahr für Leib und Leben, der die Soldaten jeden Tag in Afghanistan ausgesetzt sind, ist es unverantwortlich, dass die Bundesregierung nach der Londoner Konferenz bisher kein Afghanistan-Konzept vorgelegt hat. Wo sind die UN-Initiativen des Außenministers, um den Verhandlungsprozess zu unterstützen?

Die Grünen haben den Bundeswehreinsatz jahrelang vor allem als Hilfestellung für den zivilen Wiederaufbau dargestellt. Haben Sie sich etwas vorgemacht?

Nein. Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass man mit Militär allein Sicherheit und Frieden definitiv nicht herstellen kann – und das bestätigt sich doch Tag für Tag. Wir halten am zivil-militärischen Ansatz fest. Er ist in Afghanistan aber schlecht umgesetzt worden. Jahrelang hatte das Militärische Vorrang. Es wurde nichts unternommen, um für einen systematischen zivilen Wiederaufbau zu sorgen. Da wurde ohne Koordinierung und konkrete Ziele vor sich hingewurschtelt. Das ist fatal.

Rechnen Sie damit, dass die Afghanistan-Debatte Auswirkungen auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen haben wird? Das Thema könnte zum Beispiel der Linkspartei den Einzug in den Landtag sichern.

Das glaube ich nicht. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen wissen, dass es am 9. Mai nicht um Afghanistan geht, sondern um die Probleme vor Ort. Die wollen, dass die Kommunalfinanzen in Ordnung gebracht werden und dass es endlich gute Schulen braucht, in denen alle Kinder gefördert werden, anstatt manche einfach aufs Abstellgleis zu verfrachten. Und es geht um eine Bundesratsmehrheit, die nicht die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke unterstützt oder die abstrusen Steuerpläne von Schwarz-

Gelb.

Die Spitzen von SPD und Grünen treten am Montag, drei Wochen vor der NRW-Wahl, gemeinsam in Berlin auf. Gibt es ein neues rot-grünes Projekt?

Rot-Grün in NRW hat nichts mit Sentimentalität oder Nostalgie zu tun. Wir Grünen sind gerissen genug, um nüchtern zu kalkulieren. Wir entscheiden uns für die, mit denen wir die größte Schnittmenge haben. Und das ist nun mal die SPD. Wir haben mit der SPD eine realistische Chance auf eine grün-rote Mehrheit am 9. Mai. Und zwar weil wir Grünen so viel Kraft haben.

Ihre Partei hat in der rot-grünen Koalition unter den Ministerpräsidenten Clement und Steinbrück schwer gelitten. Sind Sie sicher, dass es diesmal besser würde?

Ganz sicher. Wir sind größer, stärker und erfahrener als damals. Die SPD im Bund und in NRW muss wissen: Die Zeiten, zu denen sie sich als Koch fühlen durfte und uns zum Kellner machen wollte, die sind vorbei. Was auf den Tisch kommt, wird gemeinsam zubereitet und aufgetragen.

Die Grünen in NRW schließen aber auch ein Bündnis mit der CDU nicht aus. Was hat sich im Verhältnis zur Union verbessert?

Natürlich gibt es die alten Grabenkämpfe nicht mehr. Aber in den Kernfragen ist die CDU noch immer auf der Reise in die falsche Richtung. Das gilt für ihr Festhalten an der Atomenergie, für das Beharren auf dem dreigliedrigen Schulsystem in Ländern wie NRW oder für den aberwitzigen Plan, Steuern zu senken und auf diese Weise den Kommunen die letzten Mittel zu nehmen. Und natürlich ist für uns das Vorhaben, das solidarische Gesundheitssystem durch eine Kopfpauschale kaputt zu machen, nicht akzeptabel.

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU wäre sicher zu Zugeständnissen bereit, sollte er nach der Wahl auf die Grünen angewiesen sein.

Da müsste er einen radikalen Bruch seiner bisherigen Linie hinlegen. Unsere inhaltlichen Bedingungen habe ich genannt. Wer die nicht mitträgt, kriegt von uns die klare Ansage: Wir gehen dann lieber in die Opposition. Aber ich gehe von grüner Politikgestaltung aus.

Was ist mit Rot-Rot-Grün?

Wir wollen Rot-Grün, alles andere ist nicht unser Ziel. Die NRW-Grünen haben eine Regierungszusammenarbeit mit der Linkspartei nicht formal ausgeschlossen. Aber ich sehe nicht, dass man mit den Linken in NRW eine stabile Regierung bilden könnte. Die wissen ja selber nicht, ob sie überhaupt das Spielfeld betreten, sprich regieren wollen.

Bleibt noch die Möglichkeit einer Ampelkoalition mit SPD und Liberalen.

Die Ampel ist in NRW schon lange vor dem Wahltag erloschen. Mit der FDP und ihrer unsolidarischen Politik kann es für uns keine Zusammenarbeit geben. Es geht in NRW vielmehr darum, mit der Ablösung der schwarz-gelben Landesregierung dafür zu sorgen, dass die Regierung Merkel/Westerwelle ihre Bundesratsmehrheit verliert. Nur dann können wir die Steuersenkungen, die Kopfpauschale und den Ausstieg aus dem Atomausstieg stoppen. Und für eine angemessene finanzielle Austattung der Kommunen sorgen.

Was SPD und Grüne verhindern wollen, wissen wir. Wofür Rot-Grün den Machtzuwachs im Bundesrat nutzen würde, ist nicht klar.

Schwarz-Gelb wird in NRW scheitern, auch weil die gleiche Farbkonstellation im Bund seit Monaten ohne gemeinsame Ideen für die Zukunft agiert. Ohne Fundament moderieren sie sich durch die Krise. Der ganze Bundestag muss jetzt die Weichen für unsere Zukunft erörtern. Wir wollen eine Enquetekommission, die den Wachstumsbegriff kritisch beleuchtet. Wie wollen wir in Zukunft leben und wirtschaften, weiter auf Kosten der Lebensgrundlagen? Das Beispiel Mobilität ist deutlich. Nicht Lobbyismus, nicht Abwrackprämien helfen weiter. Wachsen soll nur noch Elektromobilität als Teil eines neuen Verkehrskonzeptes, da ist dann nicht das alte Auto, sondern ein integriertes Konzept öffentlicher Mobilität das Leitbild. Und alle fahren mit erneuerbarem Strom. Ob Deutschland in diese Richtung gehen kann, wird auch in NRW entschieden.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Mike Wolff.

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