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Rohstoffe: Kalter Krieg in der Arktis

Das internationale Ringen um Besitzrechte in der öl- und gasreichen Arktis verschärft sich. Solange keine Nation nachweisen kann, dass ihr Festlandsockel bis zum Pol reicht, gilt die Region als internationales Gewässer.

Tagelang hat der Staatssender RTR den russischen Nationalstolz mit Bildnern vom Nordpol gefüttert. Forscher hatten dort vor zwei Wochen Gesteinsproben vom Lomonossowrücken geborgen, um zu beweisen, dass dieser die Fortsetzung der sibirischen Landmasse ist. Zudem hatten zwei russische Duma-Abgeordnete am Nordpol mehr als 4000 Meter unter dem Meeresspiegel eine russische Flagge platziert. Damit will Russland Forderungen nach einer Erweiterung seiner Wirtschaftszone Nachdruck verleihen. In dem fraglichen Abschnitt des Eismeers werden bis zu zehn Milliarden Tonnen Öl und Gas vermutet. Eine amerikanische Studie spricht von einem Viertel der Welt-Öl- und -Gasreserven.

Nach der russischen PR-Offensive sind auch alle anderen Nationen mit Interessen an den Bodenschätzen rund um den Pol nicht mehr zu halten. Am Wochenende stach eine dänische Expedition in See. Ihr Ziel: Geologische Beweise dafür, dass der Lomonossowrücken der Fortsatz Grönlands ist. Die Insel steht seit 1814 unter dänischer Verwaltung. Schon seit Anfang vergangener Woche sind auch amerikanische Schiffe auf dem Weg zum Pol. Am Freitag entsandten die USA eine Expedition, um den Meeresboden vor Alaska zu kartografieren. Ein an dem Projekt mitwirkender Wissenschaftler erklärte jedoch, die USA beteiligten sich nicht aktiv am Wettstreit um die Arktis. Washington hat die 1982 verabschiedete und 1994 in Kraft getretene Seerechtskonvention, die die Erweiterung der 200-Meilen-Wirtschaftszone (etwa 370 Kilometer) bei eindeutiger Beweislage ausdrücklich vorsieht, nicht ratifiziert und beruft sich auf die Genfer Konvention zum Festlandsockel von 1958. Die aber erklärt das Nordpolarmeer zum internationalen Gewässer. Deshalb wirbt der amerikanische Präsident derzeit im Kongress um Zustimmung für eine Ratifizierung der UN-Seerechtskonvention.

Seit Monaten gibt es, bisher ergebnislose, Gespräche mit Norwegen über die Nutzung der Barentssee, wohin Norwegen seine Erdöl- und Erdgasproduktion ausweiten will. Mit Abstand schärfster Konkurrent beim Run auf den Pol aber ist das Land, zu dem der Kreml bisher beste Beziehungen unterhielt: Kanada. Vor allem dessen Forderungen überlappen sich beträchtlich mit russischen. Am Widerstand Kanadas scheiterte zunächst schon Moskaus erster Expansionsversuch 2001. Kanada ist daher entschlossen, Fakten zu schaffen, bevor Russland im kommenden Jahr der UN-Kommission über die Grenzen der Festlandsockel (CLCS) offiziell eine aktualisierte Version seiner Forderungen übergibt. Solange keine Nation nachweisen kann, dass ihr Festlandsockel bis zum Pol reicht, gilt die Region als internationales Gewässer, das von der Internationalen Meeresboden-Behörde in Kingston, Jamaika, verwaltet wird.

Spätestens 2015 soll der neue Überseehafen in der Polarprovinz Nunavut fertig sein, mit dem Kanada sich die alleinige Kontrolle über die nordwestliche Durchfahrt vom Atlantik in den Pazifik sichern will. Der Hafen soll auch eine militärische Komponente haben. Premierminister Stephen Harper wird vom Sender BBC mit den Worten zitiert: „Das erste Prinzip der arktischen Souveränität ist, sie zu nutzen, oder sie zu verlieren.“ Durch den Klimawandel, der das Schmelzen des Eises in der Aktis nach sich zieht, könnten sich die damit verbundenen Risiken schon bald reduzieren. Fast 800 Kilometer kürzer als der nordöstliche Seeweg um Sibirien herum, den Schiffskonvois im arktischen Sommer seit über 50 Jahren befahren, ist die Nordwestpassage bei Kapitänen gefürchtet. Der Grund: Orkane, Eisberge und zahllose Untiefen. Ohne Überwinterung schaffte erst 1944 ein Spezialschiff die 5780 Kilometer zwischen Ellesmere- und Melville-Insel. Sie und hunderte andere gehören zu Kanada, das die Nordwestpassage daher zum Binnengewässer erklärt hat und Durchfahrtsgebühren kassieren will. Neben Washington will sich vor allem Moskau dagegen querlegen. Denn gegenwärtig bahnen russische Eisbrecher den Konvois den Weg und verdienen dabei glänzend.

Statt die Forschungskooperation in Arktis und Antarktis anzukurbeln, so ein Kommentar des kritischen Radiosenders Echo Moskwy, habe das gegenwärtige internationale Polarjahr bisher nur alte Gräben vertieft und neue aufgerissen. Russland habe mit seinen in der Geschichte des Seerechts bisher einmaligen Forderungen einen womöglich folgenschweren Präzedenzfall geschaffen.

In der Tat: 2041 läuft der Antarktisvertrag aus, der Erkundung und Ausbeute der dortigen Bodenschätze untersagt: Neben Öl und Gas auch umfangreiche Gold-, Titan- und Uranvorkommen. Wann das Gerangel der lateinamerikanischen Anrainer, Australiens, Neuseelands und mehrerer europäischer Großmächte dort in eine neue Runde geht, ist daher eine bloße Zeitfrage. Und Russland hat gleicht nach der Rückkehr vom Nordpol eine Antarktisexpedition angekündigt. Mitarbeit: deh, mis

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