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Rot-Grün in NRW: Was zusammen geht

Das neue Regierungsduo Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann muss nun immer wieder nach Mehrheiten suchen. Kann das gelingen?

Peer Steinbrück will es sich nicht nehmen lassen, den Triumph seiner Parteifreundin persönlich zu erleben. Wenige Minuten vor zwölf stürmt der Vorgänger von Jürgen Rüttgers und ehemalige Bundesfinanzminister in den Düsseldorfer Landtag und nimmt auf der Tribüne neben anderen Würdenträgern Platz. „Niemand hätte erwartet, dass wir nach nur fünf Jahren schon wieder die Chance auf eine Regierungsbildung haben würden“, sagt er. Von oben kann er einen Jürgen Rüttgers beobachten, dessen Gesichtszüge die Enttäuschung widerspiegeln, nach nur einer Legislaturperiode aus dem Amt gewählt worden zu sein. „Sein Selbstbild stimmte nicht mit dem öffentlichen Bild überein“, urteilt Steinbrück über den Nachfolger und schiebt hinterher: „Die CDU hat nicht ausreichend unterschieden zwischen Land und Partei.“

Gerade hat der neue Landtagspräsident Eckard Uhlenberg den ersten Wahlgang eröffnet, Hannelore Kraft ist die einzige Kandidatin. Rüttgers hatte früh entschieden, sich nicht nominieren zu lassen und so ein weiteres Mal gezeigt, dass er die taktischen Finessen des Parlamentsbetriebes beherrscht. Hätte er sich gegen Kraft gestellt, wäre mancher aus seiner Partei womöglich auf den Gedanken gekommen, nicht ihn, sondern die sozialdemokratische Mitbewerberin zu wählen, um seinen endgültigen Abgang ein wenig zu beschleunigen. Nachdem solche Argumente entfallen, wird auf der Tribüne des Landtages über andere Varianten spekuliert. „Es könnte sein, dass Kraft schon im ersten Wahlgang genügend Stimmen bekommt, schließlich wollen viele Abgeordnete keine Neuwahl, weil sie sonst um ihr Mandat fürchten müssten“, sagt ein früherer liberaler Minister und kann sich das durchaus auch für seine Parteifreunde vorstellen.

Doch nach gut 40 Minuten steht fest: Hannelore Kraft hat im ersten Wahlgang exakt 90 Stimmen und damit nur die Zahl, die SPD und Grüne an Mandaten auf sich vereinen. Um im ersten Wahlgang gewählt zu werden, hätte sie die absolute Mehrheit von 91 Stimmen gebraucht. Die Kandidatin nimmt das Ergebnis lächelnd zur Kenntnis und zögert keinen Moment, sich ein zweites Mal nominieren zu lassen. Um kurz nach eins verkündet Uhlenberg dann: „Auf die Abgeordnete Kraft entfielen 90 Stimmen“, ruft er aus. Der Rest geht im Jubel der einen Seite des Parlamentes unter, denn dieses Mal reicht die einfache Mehrheit. Während Rüttgers wie versteinert auf seinem Platz sitzt, springen rote und grüne Mandatsträger hoch und stürmen auf Kraft zu; selbst bei den Linken applaudieren die beiden Fraktionsspitzen, Bärbel Beuermann und Wolfgang Zimmermann. Oben auf der Tribüne wischt sich die betagte Mutter von Hannelore Kraft eine kleine Träne aus dem Augenwinkel.

Die aufgewühlte Stimmung hält aber nur für einige Minuten. Hannelore Kraft spricht den Amtseid und versucht anschließend noch einmal jenen Spagat, den sie in den zurückliegenden Wochen fast zur Perfektion geübt hat. „Die Wählerinnen und Wähler haben uns am 9. Mai eine schwierige Aufgabe gestellt“, beginnt sie ihre kleine Dankesrede und spricht dann besonders die ehemaligen Regierungsparteien an: „Wir wollen gemeinsam mit allen Fraktionen des Hauses dafür arbeiten und darum ringen, den besten Weg für unser Land zu gestalten.“

Da arbeiten die Fraktionen von CDU und FDP bereits an ersten Presseerklärungen, die nicht die geringste Hoffnung nähren, dass sich am Stil zwischen Regierung und Opposition in Düsseldorf etwas ändern könnte. „Wortbruch“, schäumt der neue CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann mit Blick auf die neue Regierungschefin, sein liberaler Kollege Gerhard Papke wiederholt, das neue Bündnis mache sich „von marxistischen Verfassungsgegnern“ abhängig.

Solche Worte lassen kaum erwarten, dass sich die neue Regierung die fehlende Stimme für eigene Projekte im schwarz- gelben Lager suchen kann. „Wir sind eine Koalition der Einladung“, haben Kraft und ihre grüne Kopilotin Sylvia Löhrmann in den vergangenen Tagen unzählige Male gesagt, aber besonders realistisch erscheint das nicht. Immerhin hilft das Wahlergebnis: Kraft ist im zweiten Wahlgang mit eigener Mehrheit ins Amt gekommen; die Linke hat sich – wie verabredet – enthalten. Da allerdings weder Kraft noch Löhrmann nur auf die Linke setzen wollen, muss es ihnen rasch gelingen, mindestens in Einzelfragen CDU und FDP zu überzeugen.

Da sich beide Parteien gegenwärtig in mächtigen Turbulenzen befinden, ist das freilich kaum zu erwarten. In der CDU scheinen die Gegner Rüttgers ein neues Angriffsziel gefunden zu haben. Seitdem der ehemalige Ministerpräsident seinen vollständigen Rückzug angekündigt hat, kursieren in Düsseldorf neue Interna aus der CDU-Parteizentrale, wo es offenbar heftige Kritik an Parteigeneral Andreas Krautscheit gibt. Der soll anscheinend als Vertreter des „Systems Rüttgers“ demontiert werden. Die Nominierung von Armin Laschet als erster Stellvertreter irritiert zudem manche in der Fraktion, weil damit verdiente Christdemokraten übergangen werden. In der FDP scheint nicht entschieden, ob Fraktionschef Papke sich mit seinem Kurs der strikten Verweigerung am Ende wirklich durchsetzt oder nicht doch jene um Parteichef Andreas Pinkwart die Oberhand behalten, die sich eine Zusammenarbeit mit Rot-Grün zumindest theoretisch vorstellen können.

Ansonsten sind Rote und Grüne auf die Linken angewiesen. Die haben immerhin mit ihrer geschlossenen Enthaltung genau das getan, was sie versprochen hatten. Bei den ersten Anträgen müssen sie ab Donnerstag allerdings zeigen, ob sie wirklich im Parlament angekommen sind. Die neue Koalition möchte die Studiengebühren „schnellstmöglich“ abschaffen und einen entsprechenden Beschluss fassen. Die Linken sind bisher dagegen, weil sie sich nicht darauf einlassen wollen, die Gebühren erst zum Wintersemester 2011/12 zu streichen. „Früher geht es nicht, weil wir sonst bei den Hochschulen ein Loch reißen, und den Haushalt 2011 haben wir Anfang Februar noch nicht verabschiedet“, erklärt Norbert Römer, der neue SPD-Fraktionschef. Das Februar-Datum ist aber wichtig, weil die Hochschulen zu diesem Zeitpunkt die Studenten aufnehmen und klare Bedingungen brauchen. Aus einer technischen Frage wird für die Linke eine Machtfrage, und es könnte passieren, dass die neugewählte Ministerpräsidentin am Donnerstag mit einer ersten parlamentarischen Niederlage in den Sommer startet. „Das wäre kein gutes Signal“, urteilt einer aus der SPD-Führungsriege und hofft darauf, dass es so weit nicht kommt.

Da niemand weiß, wie dieses Spiel ausgeht, wabert am ersten Amtstag der neuen Regierungschefin erstaunlich oft das Wort „Neuwahlen“ durch die Hallen des Landtages. „Dafür brauche ich eine Mehrheit und die sehe ich nicht, deshalb wollen wir fünf Jahre regieren“, hält Hannelore Kraft trotzig dagegen, aber sicher kann sie nicht sein. Immerhin hat sie mit Sylvia Löhrmann eine grüne Partnerin an ihrer Seite, mit der sie zwar nicht immer einer Meinung ist, auf die sie sich aber verlassen kann. „Hanni und Nanni“, philosophiert Peer Steinbrück nach ihrer Wahl, „kommen wahrscheinlich besser miteinander klar, weil sie anders als wir Männer kommunizieren“. Soll das tragen, müssen die beiden allerdings noch einen Draht zu CDU und FDP legen. Da scheinen Hanni und Nanni noch viel Überzeugungsarbeit leisten zu müssen.

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