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Politik: Roter Stern, verglüht

Es war nur das halbe Deutschland, über dem der Rote Stern mehr als vierzig Jahre leuchtete - aber offenbar mit so viel Ausstrahlung, dass Buch und Film über die Sowjetarmee in der DDR schlicht "Roter Stern über Deutschland" hießen. Erst der Untertitel des Buches von Ilko-Sascha Kowalczuk und Stefan Wolle stellt klar, dass es sich um die "Sowjetischen Truppen in der DDR" handelt, die dort 49 Jahre - vom letzten Gefecht mit dem Hitlerreich bis zum friedlichen Abzug 1994 aus dem neu vereinten Deutschland - stationiert waren.

Es war nur das halbe Deutschland, über dem der Rote Stern mehr als vierzig Jahre leuchtete - aber offenbar mit so viel Ausstrahlung, dass Buch und Film über die Sowjetarmee in der DDR schlicht "Roter Stern über Deutschland" hießen. Erst der Untertitel des Buches von Ilko-Sascha Kowalczuk und Stefan Wolle stellt klar, dass es sich um die "Sowjetischen Truppen in der DDR" handelt, die dort 49 Jahre - vom letzten Gefecht mit dem Hitlerreich bis zum friedlichen Abzug 1994 aus dem neu vereinten Deutschland - stationiert waren.

Sogar drei Jahre länger als die Sowjetunion Bestand hatte. Denn sie verließen Deutschland als "russische Truppen", wie der Oberkommandierende Burlakow Präsident Jelzin am 31. August 1994 auf dem Gendarmenmarkt meldete. Den kleinen Unterschied haben die Berliner nie so streng genommen. Schon 1945 hieß es einfach (wenn auch mit Schrecken): "Die Russen kommen!"

Der Schreck war verflogen, als es jetzt endlich hieß "Die Russen gehen" und sich Stalins geflügeltes Wort über die Hitlers, die kommen und gehen, auch auf ihn selbst anwenden ließ. Das deutsche und russische Volk und ihr Staat bleiben bestehen und kamen sich über diese Erfahrung näher als unter ihren Diktatoren. "Leb wohl Deutschland" stand auf dem letzten Panzer, der Deutschland verließ - "für immer", wie die erste Strophe im "Abschiedslied der russischen Soldaten" von Oberst Gennadi Luschetzki beginnt.

Sie hätten dort ihre "Pflicht erfüllt", endet die zweite. Manchmal auch übererfüllt, wie so manche Pläne im Sowjetland. Denn dass man noch einmal auf Deutsche schießen würde (am 17. Juni 1953), dass man dem einstigen Verbündeten USA 1961 am Checkpoint Charlie mit Panzern begegnen und 1968 aus Deutschland nach Prag einmarschieren würde, das war ein Übersoll, das Russlands Soldaten wohl auch nur widerwillig erfüllt haben. Ob sogar 18 von ihnen erschossen wurden, weil sie am 17. Juni den Schießbefehl auf unbewaffnete Deutsche verweigert hatten, bleibt allerdings ungeklärt. Ein russischer Oberst, der das bestätigt, beruft sich auf ein deutsches Dokument aus dem SED-Archiv, das dort aber nie gefunden wurde. Auf russischer Seite "wird sich keine verlässliche Aussage treffen lassen, solange die Archive des sowjetischen Militärstaatsanwalts geschlossen bleiben", resignieren auch Kowalczuk und Wolle.

Was ihnen in anderen Archiven über die Sowjetarmee in Deutschland zugänglich war, haben sie mit Eifer auf mehr als 250 Seiten zusammengetragen und ohne Hass und Übereifer kommentiert. Oder wie es Historiker ausdrücken: sine ira et studio. Noch klingt ja in manchen deutschen Ohren das Echo des berüchtigten Kriegsrufs von Ilja Ehrenburg ("Töte den Deutschen!"), noch schmerzt die - von Kowalczuk und Wolle geschätzte - Zahl von 1,9 Millionen Vergewaltigungen (davon eine halbe Million nach Kriegsende) und 43 000 Lagertoten in der Sowjetisch besetzten Zone.

Aber man tut gut daran, vor oder bei der Lektüre dieses Buches die Wehrmachtsausstellung über deutsche Verbrechen in Russland zu besuchen. Die deutsche Wehrmacht mag disziplinierter gewesen sein, aber sie war es auch bei der Ausführung von Befehlen, denen sie keine Disziplin geschuldet hätte. Sie hinterließ in Russland verbrannte Erde, die Sowjetarmee in Deutschland "nur" verseuchte Erde in ihren Quartieren. Königsberg, das die Sowjets 1945 als Symbol der Rache und Abschreckung niederbrannten, mahnt sie heute als ihre eigene Exklave Kaliningrad an den Wahnsinn und die Folgen blinder Zerstörung.

Die Sowjetarmee hat in Deutschland nicht nur "gehaust", sie hat sich auch für Jahrzehnte hier häuslich niedergelassen, anfangs in Karlshorst in den Kasernen der ehemaligen Heeres-Pionierschule (heute ein Museum), später in Wünsdorf und an weiteren etwa 30 Standorten. Hier lebten die Sowjetsoldaten weitgehend isoliert von der deutschen Bevölkerung, trotz gelegentlicher Umzüge und organisierter Freundschaftsbesuche. In Schlafsälen mit bis zu 120 Betten zusammengepfercht, mit einem Wehrsold von einem Rubel pro Tag und 25 Ostmark pro Monat auf die Hand, hatten die Sowjetsoldaten ein so hartes Leben in der DDR, dass selbst die ihnen als ein wahres Konsumparadies erschien.

Wer die Einzelheiten nicht als einstiger DDR-Bürger kennt, kann sie bei Kowalczuk und Wolle nachlesen. Auch zwei höchst unterschiedliche Hymnen auf die "Freunde", die Schein und Wirklichkeit der ruhmreichen Sowjetsoldaten in Deutschland beleuchten: Johannes R. Bechers Pflichtlektüre für DDR-Bürger "Sterne unendliches Glühen" ("Wer hat vollbracht all die Taten / die uns befreit von der Fron? / Es waren die Sowjetsoldaten / Die Helden der Sowjetunion") und Wolf Biermanns Ballade "Deutschland. Ein Wintermärchen", in der er die "kahl geschorenen Freunde" bemitleidet und gegen die "schon wieder fetten" Deutschen verteidigt: "Ihr armen armen Schweine / Wozu steht ihr am Arsch der Welt / Euch in den Bauch die Beine."

Ja, wozu? Weiß das noch jemand im neuen Deutschland? Vielleicht noch das "Neue Deutschland", das ja immer noch erscheint? Die deutsche Zeitung der Sowjets die "Tägliche Rundschau" hat ihr Erscheinen schon eingestellt, im Jahre1955.

Hannes Schwenger

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