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Rüstungsexportbericht: Gewaltiges Waffengeschäft

Deutschland ist hinter den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Jetzt hat die Bundesregierung ihren Rüstungsexportbericht veröffentlicht. Was steht drin – und was nicht?

Von Michael Schmidt

Sage noch einer, die Politik sei nicht handlungsfähig. Am Montag erst hatten die beiden großen Kirchen moniert, dass die Bundesregierung zwar schon im Frühjahr die EU-Kommission informiert, aber noch immer keine Zahlen zur Ausfuhr deutscher Rüstungsgüter im vergangenen Jahr veröffentlicht habe – prompt legte die Regierung am Mittwoch den Rüstungsexportbericht 2009 vor. Das muss nicht zusammenhängen, ganz zufällig ist es aber wohl auch nicht. Die Kritik der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) an der Informationspolitik des zuständigen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) hatte der Forderung nach einer stärkeren Beteiligung des Parlaments neue Nahrung gegeben. Zumal Deutschland nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri trotz restriktiver Richtlinien der weltweit drittgrößte Waffenexporteur ist, übertroffen nur von den USA und Russland.

Was steht im Regierungsbericht?

Nach Auskunft der Regierung ist die Tendenz rückläufig. Im Berichtsjahr erteilte Deutschland seinen Rüstungsunternehmen Ausfuhrgenehmigungen im Gesamtwert von 7,04 Milliarden Euro (2008: 8,32 Milliarden). Dieser Betrag setzt sich aus Einzelgenehmigungen im Wert von 5,04 Milliarden Euro (2008: 5,78 Milliarden) und Sammelgenehmigungen in Höhe von zwei Milliarden Euro (2008: 2,54 Milliarden) zusammen. Sammelgenehmigungen werden erteilt, wenn Nato- oder EU-Länder gemeinsam ein Waffensystem produzieren, dessen Teile in verschiedenen Ländern hergestellt werden.

Der Wert der tatsächlich ausgeführten Kriegswaffen verringerte sich auf 1,33 Milliarden Euro (2008: 1,42 Milliarden). Drei von vier dieser Waffen gingen an EU-, Nato- und der Nato gleichgestellte Länder. Wichtigste Empfänger waren die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich, Brunei und Südkorea. Die Genehmigungen für Kleinwaffen, insbesondere für automatische Handfeuerwaffen, in Drittstaaten, die weder Mitglied der EU noch der Nato sind, beliefen sich auf 14,3 Millionen Euro (2008: 17,2 Millionen Euro).

Was wird kritisiert?

„Die Berichte kommen zu spät, die Informationen sind lückenhaft und die parlamentarische Debatte ist ungenügend – so lässt sich Regierungshandeln nicht kontrollieren“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Katja Keul und fordert ein Widerspruchsrecht. „Wir müssen, gerade bei kritischen Lieferungen, mitreden können, bevor die Entscheidung getroffen ist.“

Außerdem beschränkt sich der Regierungsbericht auf Kriegswaffen und Rüstungsgüter. Bei Kriegswaffen, also ABC-Waffen, Raketen, Kampfflugzeugen, Kriegsschiffen, weist er den Wert der Genehmigungen und den Wert der tatsächlich ausgeführten Waren aus. Bei den ungleich umfangreicheren Rüstungsgütern – die Bundesrepublik exportiert überwiegend Komponenten und keine kompletten Waffensysteme – veröffentlicht er nur die Genehmigungen. Und sogenannte Dual-Use-Produkte, die wie Klimaanlagen und Kommunikationsmittel sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, bleiben gänzlich unberücksichtigt. Der Wert der genehmigten Ausfuhren solcher Güter beläuft sich nach Auskunft von Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung auf nochmals mehr als sieben Milliarden Euro.

Lizenzen werden ebenfalls nicht berücksichtigt. Heckler & Koch zum Beispiel, der größte Kleinwaffenhersteller Deutschlands, der die halbe Welt mit Schusswaffen beliefert, verkauft auch Lizenzen zu deren Herstellung. Was mit den Waffen passiert, wo sie eingesetzt und an wen sie verkauft werden – immer wieder tauchen deutsche Gewehre in Krisengebieten auf –, wird nicht kontrolliert.

Und nicht zuletzt fehlen der GKKE wichtige Informationen im Regierungsbericht. Weder greife dieser US-Studien auf, denen zufolge Zahl und Wert der Neuaufträge gestiegen ist, von 0,75 Milliarden Euro 2008 auf 2,8 Milliarden Euro 2009. Noch gebe er Auskunft über den Anstieg staatlicher Ausfallbürgschaften für Rüstungsgüter von 21 Millionen Euro im Jahr 2008 auf 1,9 Milliarden Euro 2009.

Wie wird sich der Rüstungsexport künftig entwickeln?

Man wolle die „Rüstungsexportpolitik restriktiv gestalten“, heißt es in den „Rüstungsexportrichtlinien“ aus dem Jahr 2000. Die gelten nach wie vor, geraten aber von zwei Seiten unter Druck. Zum einen hat Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag eine „Harmonisierung mit der Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten“ vereinbart. Bürokratische Hemmnisse sollen abgebaut und die Verfahren beschleunigt werden. Für die Opposition klingt das nach einer Lockerung der Richtlinien. Katja Keul fordert daher ein „Rüstungskontrollregime auf EU- Ebene“. Auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass immer mehr Rüstungsprojekte internationale Kooperationen sind und die Unternehmen ihren Antrag auf eine Ausfuhrgenehmigung in jenem Land stellen, in dem sie am wenigsten Widerstand zu erwarten haben.

Zum anderen bleibt die Reform der Bundeswehr nicht folgenlos. Die Armee wird selbst künftig weniger Material benötigen. Sie wird vielmehr in Konkurrenz zur Industrie versuchen, überflüssige Altbestände loszuwerden. Sollte die geplante Streichliste des Verteidigungsministers bei Rüstungsprojekten umgesetzt werden, drohe der Verlust Zehntausender Jobs, warnen Regierungsmitglieder und Gewerkschaften in seltener Einmütigkeit. Und hoffen, ein erleichterter Export könne da einen Ausweg weisen.

Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit sieht bereits eine „klare Tendenz“ der Industrie, die Politik zu dem Bekenntnis zu drängen, dass der Export von Rüstungsgütern kein Zubrot, sondern das Kerngeschäft sei. Und die Regierung habe verstanden, sagt Nassauer: Kaum ein Minister reise noch ins Ausland ohne Vertreter der Rüstungsindustrie in seinem Gefolge.

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