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„Schlachtfeld“ Ampel: 13 Monate vor der Bundestagswahl kämpft jeder gegen jeden
Kanzler Scholz fordert von seiner Koalition gutes Benehmen, doch daran halten sich die Beteiligten nicht einmal 24 Stunden. Vor allem die Grünen machen aus ihrem Frust kein Geheimnis mehr.
Stand:
Robert Habeck hat eben erst im Kurzsprint die Bühne im Hof des Wirtschaftsministeriums erreicht, da setzt er schon zur Spitze gegen seinen Kabinettskollegen Christian Lindner an. Was er denn zu der Äußerung des Bundesfinanzministers sage, dass es mit der FDP keinen Grünen-Bundeskanzler geben werde, will die Moderatorin vom Grünen-Vizekanzler wissen.
Habeck schmunzelt. „Da sind wir uns ganz einig. Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden“, sagt er. Das Publikum, mehrere hundert Bürgerinnen und Bürger aus dem ganzen Land, die zum Sommerdialog eingeladen wurden, johlt und klatscht. Die Dauer-Fehde zwischen dem Wirtschafts- und dem Finanzminister als Scherz. Lindners Aussage kränke ihn nicht, versichert er. „So sind wir miteinander.“
Doch genau so wollen die Ampel-Vertreter eigentlich nicht sein. Zumindest beschwören sie das immer und immer wieder, wenn ihre Arbeit mal wieder vom Streit überdeckt wird. Und so sollen sie auch nicht sein.
Der Kanzler spricht vom „Schlachtfeld“
24 Stunden vorher: Ein anderer Bürgerdialog, dieses Mal Bremen statt Berlin, Kanzler statt Vizekanzler. Ungewohnt offen gibt Olaf Scholz „anhaltende Schwierigkeiten“ in seiner Koalition zu. Noch habe niemand bemerkt, dass die Ampel gute Arbeit leiste. Die aktuell schwierige politische Lage „erhöht die Anforderung an gutes Regieren und – das sage ich jetzt mit Richtlinienkompetenz – an gutes Benehmen“.
Auf den Kanzler scheint in der Ampel jedoch niemand mehr zu hören. Seit der letzten mühsam errungenen Einigung beim Haushalt treten die Differenzen immer offener zutage. Mit einem „Schlachtfeld“ vergleicht der Kanzler gar die Lage.
Wenn eine Regierung untereinander immer streitet, muss das Vertrauen leiden.
Vizekanzler Robert Habeck sieht im Streit ein Problem.
Die Nervosität bei SPD, Grünen und FDP ist groß. In zehn Tagen könnten alle Ampel-Parteien in Thüringen und Sachsen aus den Landtagen fliegen. Schon die Ergebnisse bei der Europawahl waren verheerend. Der Vertrauensverlust in der Bevölkerung ist massiv, die Legitimation für das Dreierbündnis scheint zu schwinden.
Dass man dafür selbst die Verantwortung trägt, wissen die Beteiligten. „Wenn eine Regierung untereinander immer streitet, muss das Vertrauen leiden“, sagt Habeck am Dienstagabend. Es ist der ernste Teil der Veranstaltung.
Bei Limonade, Sekt und Brezeln gibt sich Habeck reumütig. Es sei ein Problem in der Politik, dass niemand als Verlierer dastehen wolle. Auch er selbst sei Teil davon – die Spitze gegen Lindner ist nur ein paar Minuten vergangen. Zwei Stunden später wird sie in der Tagesschau zu sehen sein.

© dpa/Paul Zinken
Immer und immer wieder haben die Grünen zu weniger Streit in der Koalition aufgerufen. Gerade in ihren Wählergruppen komme der Zwist nicht gut an, lautete die Analyse, zudem sinke die gesamte Akzeptanz für die Ampel.
In den vergangenen Monaten versuchte die Partei sich aus den Scharmützeln rauszuhalten. Beim Haushaltsstreit, bei dem sich vor allem FDP und SPD verkrachten, versuchten sich die Grünen als Vermittler.
Doch das Scheinwerferlicht fällt auf den Streit und so tauchten die Grünen weniger auf, beobachteten die Strategen in der Partei besorgt. Seit dem erneuten Haushaltsstreit in den vergangenen Wochen und mehreren Sommerloch-Vorschlägen der FDP sei man nicht mehr gewillt, so zu tun, als ob alles normal sei, heißt es von den Grünen.
So ist es kein Zufall, dass Omid Nouripour im ARD-Sommerinterview die Ampel als „Übergangsregierung nach der Ära Merkel“ bezeichnete. Offen wie nie erklärte der Grünen-Chef, dass man in dieser Konstellation an die Grenzen des Machbaren komme. Es ist unverschämt ehrlich. Ein Abgesang auf die eigene Regierung – 13 Monate vor der Bundestagswahl.
Auch wenn Habeck niemals Kanzler wird: Das ist schlechter Stil.
SPD-Politiker Axel Schäfer kritisiert die Äußerungen Habecks.
In der SPD hält man von Nouripours und Habecks Vorgehen nichts: „Jeder Parteivorsitzende einer Koalitionspartei trägt Verantwortung. Wenn Omid Nouripour nun von einer ,Übergangskoalition‘ schwadroniert, ist das verantwortungslos“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer dem Tagesspiegel.
Robert Habecks Provokation in Richtung Lindner sei „ähnlich verantwortungslos“, sagte Schäfer: „Auch wenn Habeck niemals Kanzler wird: Das ist schlechter Stil. Unser Vizekanzler sollte sich an dem guten Benehmen und der Kommunikationsdisziplin der SPD-Minister orientieren.“
Ganz davon abgesehen: Wenn Habeck sagt, Lindner werde unter seiner Kanzlerschaft nicht Minister, spricht er sich mehr Macht zu, als ein Kanzler hat. Die Koalitionsparteien nämlich nominieren die Minister, nicht der Kanzler. Nicht Olaf Scholz suchte etwa Volker Wissing oder Steffi Lemke aus, sondern FDP und Grüne. Angela Merkel bekam selbst die CSU-Minister von der CSU serviert.
Der Abend im Wirtschaftsministerium neigt sich dem Ende zu, eigentlich muss Habeck zum Kanzler, doch „der kann noch ein bisschen warten“, findet er und lässt noch ein paar Extra-Fragen zu. Es geht um die Schuldenbremse, um die Bohrungen vor Borkum, Wärmepumpen und wieder um den Ampel-Streit.
Ganz aufgegeben habe er noch nicht, sagt Habeck über die Ampel-Zusammenarbeit. Es sei inzwischen der fünfte, vielleicht der siebte Anlauf für ein besseres Miteinander. „Eine Chance haben wir noch, aber das ist dann bestimmt die letzte.“ Es wird sich zeigen, wie lange er sich an seine eigenen Worte erinnert.
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