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Politik: Schlagbaum vor dem Paradies

Milliardenvermögen fließen jährlich ins Ausland – ein alternatives Netzwerk will dies nun verhindern

Berlin - Sinkende Steuereinnahmen trotz wachsender Wirtschaft und neue Haushaltslöcher im Milliardenumfang – so wird voraussichtlich wieder einmal die Nachricht lauten, die der Arbeitskreis der Steuerschätzer am Donnerstag an Bundesfinanzminister Hans Eichel übermitteln wird. Gegen diesen seit Jahren anhaltenden Trend möchte jetzt eine bunte Koalition von Kritikern der europäischen Steuerpolitik antreten. Unter dem Titel „Aufstehen gegen die Steuerflucht" wollen die Evangelische Kirche, der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Globalisierungskritiker von Attac den deutschen Zweig des „internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit“ aufbauen. Über die Grenzen hinweg wollen die Aktivisten gegen die Fortsetzung des Steuersenkungswettlaufs zwischen den Staaten streiten. Wenn Siemens und Daimler-Chrysler trotz Milliardengewinnen in Deutschland kaum noch Steuern zahlen oder die Vermögenden des Landes über 500 Milliarden Euro in der Schweiz und Luxemburg steuerfrei verwalten lassen, „dann ist das kein Naturereignis“, sondern „Ergebnis falscher Politik“, sagte die Ökonomin Brigitte Bertelmann vom Vorstand des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (KDA) dem Tagesspiegel. Die Steuervermeidung sei dann das Argument für „Steuersenkungen zu Gunsten der Bessergestellten“. In der Folge werde „öffentliche Armut“ herbeigeführt und wegen der fehlenden Einnahmen würden „dann bei uns die Erziehungs-, und Schuldnerberatungsstellen geschlossen“, beklagt Bertelmann. Am Ende richte sich diese Politik fast immer gegen Familien und Kinder.

Mindestens 15 Milliarden Euro jährlich koste den deutschen Fiskus allein die private Vermögensverlagerung in Steueroasenländer, erklärt der DGB. Mindestens noch einmal die gleiche Summe ergebe die aggressive Steuerplanung der Großunternehmen. Das Problem sei „weltweit in fast allen Ländern das gleiche“, bestätigt der Brite John Christensen, der in London das Sekretariat der Organisation leitet und an diesem Mittwochabend bei einer Veranstaltung im Berliner DGB-Haus die Arbeit des Netzwerks vorstellt. So würden auch in den USA über die Hälfte aller Unternehmen keine Steuern mehr zahlen, weil sie mit Hilfe von Steueroasen ihre Gewinne außer Landes verbuchen. Die größten Opfer fordere das System der Steuerfluchtländer in den Staaten der Dritten Welt. Gut 50 Milliarden Euro pro Jahr, entsprechend etwa der jährlich geleisteten Entwicklungshilfe, würden so den Armutsstaaten entzogen.

Die Gegenmaßnahmen der Regierungen seien demgegenüber „vollkommen unzureichend“, warnt der Wirtschaftswissenschaftler Sven Giegold, der für Attac das Netzwerk organisiert. So sei auch die im Mai verabschiedete EU-Zinssteuerrichtlinie „wirkungslos". Damit sollen Vermögenserträge europaweit einschließlich der Schweiz der Besteuerung oder Meldepflicht zugeführt werden. Doch zahlreiche Finanzinstitute bieten ihren Kunden längst Anlageformen an, mit denen sich das umgehen lässt. Giegold und seine Mitstreiter wollen daher künftig gemeinsam mit Aktivisten aus der Schweiz Informationen über „die Steuervermeidungsindustrie aus Banken und Beratungsfirmen“ zusammentragen, um die Regierungen unter Druck zu setzen. Bei den Nutznießern der Steuerflucht, vor allem in der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg und auf den Kanalinseln solle es künftig „ungemütlicher zugehen“.

Informationen im Internet:

www.taxjustice.net

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