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Schlichtung: Gönner glaubt nicht an zusätzliche Gleise

Ob der Stuttgart-21-Schlichterspruch finanzielle Konsequenzen hat, ist noch umstritten. Baden-Württembergs Verkehrsministerin rechnet nicht mit dem Bau von zusätzlichen Gleisen.

Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) rechnet beim Bahnprojekt „Stuttgart 21“ nicht mit dem von Schlichter Heiner Geißler vorgeschlagenen Bau zusätzlicher Gleise. Das Schweizer Unternehmen, das den Stresstest durchführen soll, „hat bereits gesagt, sie sehen nicht das neunte und zehnte Gleis als notwendig an“, sagte Gönner am Mittwoch im Deutschlandfunk. Sollte es limitierende Faktoren für die Leistungsfähigkeit des neuen Bahnhofs geben, wären es die Zulaufstrecken.

Gönner rechnete daher nach dem Schlichterspruch am Dienstagabend mit „vertretbaren“ Mehrkosten in Höhe von 150 bis 170 Millionen Euro. Die von Kritikern des Bahnprojekts genannten 500 Millionen Euro seien nicht zutreffend. Die Dauer des Stresstests ist laut der Landesverkehrsministerin schwer zu schätzen. Es würden aber mehrere Monate werden. Gönner bejahte die Frage, ob sie zu 100 Prozent sicher sei, dass „Stuttgart 21“ gebaut wird.

Der Projektgegner und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) rechnete hingegen im Deutschlandfunk mit teuren Nachbesserungen und einem anderen Ausgang des Stresstests. Sollte die Belastungsprobe jedoch positiv ausfallen, werde er auch ins Grübeln kommen. Ein Ausstieg würde in diesem Fall schwieriger werden. Palmer rechnete mit negativen Reaktionen seiner Mitstreiter auf die Schlichtung. Manche könnten enttäuscht sein und den Grünen Verrat vorwerfen. Durch die Gespräche seien aber notwendige Verbesserungen erreicht worden.

Ramsauer prüft Übernahme von Zusatzkosten

An zusätzlichen Kosten in Folge der Schlichtung soll das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aus Sicht der Bundesregierung nicht scheitern. Dies übermittelte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) indirekt in einem Zeitungsinterview. "Wir werden den Schlichterspruch ernst nehmen und zunächst mögliche Konsequenzen für den Bund prüfen", antwortete Ramsauer der "Leipziger Volkszeitung" auf die Frage nach zusätzlichen finanziellen Lasten für den Bund. Die Zukunft hänge von einer modernen, leistungsfähigen Infrastruktur ab.

Der frühere CDU-Spitzenpolitiker Heiner Geißler hatte am Dienstag nach mehrwöchiger Vermittlung zwischen Gegnern und Befürwortern den Umbau des oberirdischen Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof empfohlen. Es müssten jedoch Veränderungen an dem ursprünglichen Projekt vorgenommen werden.

Bahn-Chef Grube sagte den von Geißler geforderten Stresstest für den Bahnhof zu. Je nachdem, was diese Simulation ergebe, würden Ergänzungen an den Plänen vorgenommen. Grube bezifferte allerdings nicht die Mehrkosten, die von Stuttgart-21-Gegnern auf 500 Millionen Euro geschätzt werden. Es mache keinen Sinn, jetzt über Kosten zu sprechen, da noch nicht klar sei, "ob wir die Optionen, die von Herrn Geißler aufgeführt worden sind, überhaupt realisieren müssen", sagte Grube.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) geht nur von geringen Mehrkosten aus. Das Projekt sei gut geplant, sagte Mappus in der ARD. Dem heute-journal sagte Mappus, der vom Schlichter Heiner Geißler vorgeschlagene Stresstest für den Bahnhof könne ergeben, dass "gar keine Mehrkosten entstehen".

Die Union begrüßte den Schlichterspruch. "Es ist für den demokratischen Rechtsstaat eine kluge Entscheidung geworden", sagte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Volker Kauder. "Gewinner ist die Demokratie." Kauder rief die Konfliktparteien auf, die Entscheidung zu akzeptieren.

Auch die FDP-Bundestagsfraktion reagierte positiv. "Heiner Geißler zeigt mit seinen Anregungen einen guten Weg zu einer Lösung des Konfliktes auf", sagte die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger. "Die technische Verbesserung des Projekts und Mitsprache bei der weiteren Bebauung und Entwicklung der Innenstadt sind sehr vernünftige Vorschläge, die das Projekt am Ende sogar weiter verbessern."

Bei der Opposition in Bund und Land stieß der Schlichterspruch hingegen auf verhaltene bis negative Urteile. Die Grünen in Baden-Württemberg rechnen mit weiterem Widerstand. "Stuttgart 21 ist nach wie vor kein gutes Projekt", sagte der Grünen-Fraktionschef im Landtag, Winfried Kretschmann. Immerhin seien aber durch die Schlichtung erhebliche Nachbesserungen erreicht worden. Kretschmann plädierte für einen Volksentscheid: "Im Fall eines Regierungswechsels werden wir eine Bürgerbefragung oder einen Volksentscheid einleiten."

Auch die SPD erneuerte ihre Ankündigung, im Falle einer Regierungsbeteiligung einen Volksentscheid durchzusetzen. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Nils Schmid kritisierte Geißler: Es sei unverständlich, dass dieser einen solchen ablehne, "obwohl er eigentlich mehr Bürgerbeteiligung bei Großprojekten fordert". Die Linke will sich ebenfalls weiter an den Protesten gegen Stuttgart 21 beteiligen. Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi blieb bei seiner Forderung nach einer Volksabstimmung. "Es war die Zeit noch nie so reif für Volksentscheide wie jetzt."

Der Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis der S-21-Gegner kündigte weitere Proteste an: "Der Widerstand geht weiter, das ist klar nach diesem Schlichterspruch."

Im Februar hatte die Bahn mit dem Umbau des denkmalgeschützten Kopfbahnhofs begonnen. Seitdem hatten die Proteste stetig zugenommen. Zeitweise demonstrierten mehrere Zehntausend Menschen in Stuttgart. Es war auch zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, bei denen zahlreiche Demonstranten verletzt wurden. (AFP,dpa,rtr)

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