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Politik: „Schönbohm schwächt Kampf gegen Rechts“

Thierse kritisiert Äußerungen des brandenburgischen Innenministers über die Gründe extremistischer Gewalt

Herr Thierse, würden Sie der Zeitung „Junge Freiheit“ ein Interview geben?

Nein. Warum sollte ich einer Zeitung ein Interview geben, die nach Auskunft des Verfassungsschutzes zwischen rechtsextremistischer und konservativer Grundhaltung angesiedelt ist und mich zu einem ihrer Feindbilder erkoren hat?

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat große Probleme mit dem Rechtsextremismus in Brandenburg und trotzdem mit der „Jungen Freiheit“ gesprochen...

Es hat mich überrascht, aber auch nicht gewundert.

Es ist nicht das erste Mal. Schönbohm hatte schon 1999 mit dieser Zeitung gesprochen. Sehen Sie darin ein Signal der Aufweichung der Grenze zwischen konservativen Demokraten und dem Rechtsextremismus?

Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Schönbohm in dem Interview kritischer mit der Leserschaft dieses Blattes umgegangen wäre.

Dann wäre ein Interview gerechtfertigt gewesen?

Auch andere Politiker haben diesem Blatt Interviews gegeben, aber der Leserschaft durchaus einiges an Kritik zugemutet. Ich will keine Verbote aussprechen. Das muss jeder Einzelne entscheiden.

Sie gelten als einer der Vorkämpfer des „Aufstands der Anständigen“. Sie haben sich vor Ort über die rechte Szene kundig gemacht. Schönbohm sagt, dieser „Aufstand der Anständigen“ sei ein verordneter und moralisch überhöhter Aktionismus.

Trotz dieser Kritik werde ich weiterhin dafür eintreten, dass sich die Bürger dieses Landes gegen rechtsextremistische Aktionen, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus wehren. Das darf man nicht nur den Profis, also den Innenministern, Polizisten, Richtern überlassen. Der Kampf um alltägliche Menschlichkeit und die Verteidigung ziviler Tugenden muss die Sache aller sein. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Kein Innenminister hat Bürger dafür zu kritisieren.

GrünenParteichefin Claudia Roth hat von Schönbohm eine Entschuldigung gefordert…

Wenn Herr Schönbohm den Eindruck erweckt, dass der „Aufstand Zuständiger und Anständiger gegen Rechts“, so seine Worte, die Ursache für ein Ansteigen rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist, ist das eine höchst fatale Argumentation. Das erinnert mich an manche Anklänge in der „Möllemann-Debatte“, in der Richtung: die Juden sind selbst schuld am Antisemitismus. Jetzt sollen die Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus wehren, Schuld an der Zunahme rechter Straftaten sein. Ich habe es nicht glauben wollen, dass ein Innenminister argumentieren kann, demokratisches Engagement gegen rechte Schläger und Antisemiten würde eine solche Zunahme begünstigen.

Trägt Schönbohm selbst dazu bei, dass Rechtsextremismus ein größeres Problem bleibt?

Nein. Das unterstelle ich nicht. Ich zweifle nicht daran, dass Schönbohm seiner Überzeugung nach gegen rechtsextremistische Gewalt eintritt. Aber ich glaube, dass er durch diese Äußerungen die Motivation für demokratisches Engagement schwächt.

Die Kritik aus den Reihen der SPD war verhalten. Nach Schönbohms erstem Interview in der „Jungen Freiheit“ empörte sich Brandenburgs SPD noch über einen „Skandal“. Jetzt spricht Ministerpräsident Matthias Platzeck nur von einem „politischen Fehler“.

Ich will das nicht kommentieren. Ich möchte keine Koalitionskrise in Brandenburg provozieren.

Trotz Schönbohms Aufregung über den Kampf gegen Rechts verliert dieser an Schwung…

Rechtsradikalismus bleibt ein Problem hier zu Lande. Es gibt immer wieder Anlässe, die kollektives Erschrecken erzeugen wie der Mord an einem 17-Jährigen im Brandenburger Ort Potzlow durch Rechtsextremisten. Diese Tat zeugt von entsetzlicher Grausamkeit. Neonazis begehen einen Mord, nur weil der 17-Jährige die falschen Hosen trug! So etwas kann jede andere Minderheit treffen. Extremismus und Ausländerfeindlichkeit sind keine Randphänomene unserer Gesellschaft. Sie reichen weit in die Mitte hinein. Erst wenn man das ernst nimmt, kann man die Ursachen von Gewalt wie in Potzlow begreifen. Laut einer nennenswerten Studie von dem Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer mit dem Titel „Deutsche Zustände“ stimmen zum Beispiel 18 Prozent der Ostdeutschen und 13 Prozent der Westdeutschen der Behauptung zu, es gebe Menschengruppen, die weniger wert sind.

Das klingt, als habe der Aufstand der Anständigen keine nachhaltige Wirkung erzielt…

Das stimmt nicht. Die Gesellschaft nimmt heute Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit viel aufmerksamer zur Kenntnis. Und es gibt viele Initiativen vor allem junger Menschen, die sich weiter engagieren und die Unterstützung verdient haben. Ich werde mich auch in Zukunft darum kümmern und mir vor Ort ein Bild machen. Nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Frank Jansen.

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