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Politik: Schröders Fruchtzwerge

POLITIK VERSTEHEN

Von Ingrid Müller

Eigentlich ist alles gar nicht so schlimm. Sagt der Kanzler. Man habe den Menschen nur nicht richtig vermittelt, was die Vorhaben der Regierung bedeuten. Alles ist noch viel schlimmer. Sagt der CSUChef und Noch-Immer-Kandidat. Dass die Menschen nicht geglaubt haben, mit ihm als Regierungschef würde es viel besser, liegt für ihn nicht daran, dass für sie die Unionspläne weniger attraktiv waren als die von Rot-Grün – es war alles bloß ein Problem der Vermittlung. Ist die schlechte Stimmung im Lande also nur ein großes Missverständnis? Verstehen die Bürger nicht, was die Politiker sagen? Oder verstehen die Politiker ihre Bürger nicht mehr?

Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft, große Sorgen. Zu viele Politiker erwecken jedoch den Eindruck, es ginge ihnen weniger um die Zukunft der Gesellschaft als um ihre eigene. Sicher, alle wissen, Anfang Februar wird in Hessen und Niedersachsen gewählt, und so lange werden Stimmen gesammelt. Aber wenn die Lage so ernst ist, wie alle Lager sie nun zeichnen, reicht Mäkelei von der einen Seite und jeden Tag ein weiterer Vorschlag von der anderen nicht. Denn eines wollen die Bürger nicht: Stimmvieh für Wahlen sein. Was ist denn die Aufgabe von Politik? Leitlinien aufzuzeigen. Und klarzumachen, wozu sie gut sind; wohin alle Pläne führen sollen, warum sie lohnen. Nur so kann die Politik erklären, wofür sie sich die Macht geliehen hat.

Rot-Grün hatte lange vor der Wahl eine umfassende Reform des Sozialsystems angekündigt. Die Koalitionsverhandlungen hinterließen dann aber den Eindruck, als habe sich die neue alte Koalition nur rasch auf die Details für den Etat 2003 verständigen müssen – und vergessen, den Rahmen für vier Jahre Politik in Zeiten des Umbruchs abzustecken. Bezeichnend dafür: Die Präambel des Koalitionsvertrags, die das Ziel erklären sollte, wurde noch in der letzten Nacht umgeschrieben, damit sie nicht allzu technisch daherkam. Es hätte aber umgekehrt sein müssen. Zuerst wird der Rahmen festgelegt, danach werden die einzelnen Maßnahmen betrachtet, ob sie hineinpassen. Große Reformen beginnen selten mit dem Detail.

Bei Rot-Grün sollte das Ziel soziale Gerechtigkeit sein. Wie diese unter veränderten Bedingungen definiert wird, hat der Kanzler nie so recht gesagt. Man würde erwarten, dass in einer so angespannten Situation jeder etwas abgeben muss. Jeder nach seinen Kräften, damit möglichst viele teilhaben können. Das aber hat Gerhard Schröder mit dem Trick der Fruchtzwerge-Werbung kundgetan: wie der kleine Junge, der in dem Spot alle anspricht – aber so leise, dass keiner hinhört. Und statt eines Gesamtkonzepts erfuhren die Menschen jeden Tag eine neue Idee für eine Gruppe. Schrien deren Vertreter nur laut genug auf, verschwand der Plan oft genug, um dann in veränderter Form wieder nach diesem Muster geprüft zu werden. So entsteht der Eindruck von Unkalkulierbarkeit – und Ungerechtigkeit, weil jeder denkt, nur er müsse etwas abgeben, der andere aber werde geschont.

Längst ist klar, dass in dieser Republik vieles nicht mehr so bequem sein wird, wie es bisher für die meisten immer noch ist. So deutlich hat das der Kanzler aber nie gesagt, nie unter einem Ziel zusammengefasst – und der Kandidat auch nicht. Der jüngste CSU-Konvent hat nicht mit zehn Punkten – unter dem Motto: Wie wir es anpacken würden – Aufbruch und Richtung signalisiert. Edmund Stoiber forderte den Rücktritt des Kanzlers und bot ansonsten als Alternative Versatzstücke seiner Reden vor der Wahl an. Eine Zumutung für alle, nur keine Zumutungen für die Gesellschaft von morgen.

Ist die Lage gar nicht so ernst? Ist alles nur ein Vermittlungsproblem? In der SPD wandelt sich die Wahrnehmung gerade. Wie aus den Fruchtzwergen doch noch etwas werden kann, das hat Niedersachsens Ministerpräsident Gabriel gezeigt, Schröders Favorit für die Zeit nach Schröder. Er hat Fehler der SPD zugestanden, ohne die Rolle der Union in den vergangenen zwölf Jahren auszusparen. Unbeeindruckt von schlechten Umfragewerten hat er erklärt, wie er Politik für die Zukunft organisieren will. Es war wie früher, als Schröder noch der Medienkanzler war – nur war es Gabriel. Nüchtern, ruhig, zupackend. Und alle haben ihn verstanden. Den Schweiß und die Tränen hat er dem Kanzler gelassen.

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