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Politik: Schwacher Staat, starke Religion

Nigerias Regierung ist hilflos im Konflikt zwischen Muslimen und Christen

Die Gewalt kommt nicht ganz unerwartet. Immer wieder eskaliert in Nigeria der Konflikt zwischen Christen und Muslimen. Am Wochenende nun gerieten Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen außer Kontrolle: Mindestens 16 Menschen wurden bei Zusammenstößen zwischen den Religionsgruppen getötet. Allein in Maiduguri, der Hauptstadt der Provinz Borno, starben 15 Menschen.

Und nicht nur in Nigeria gibt es Probleme zwischen Christen und Muslimen. Vor allem im Sahel, am Schnittpunkt von Islam und Christentum in Afrika, befürchten einige Regierungen seit langem eine Eskalation der latenten Spannungen zwischen den Anhängern von Christentum und Islam. Hussein Solomon von der Universität Pretoria schätzt, dass in Afrika rund 380 Millionen Muslime leben – das wären mehr als im Nahen Osten. Diesen steht etwa die gleiche Zahl an Christen gegenüber. Die meisten afrikanischen Länder, in denen der Islam auf dem Vormarsch ist, ziehen sich von Senegal quer über den Kontinent bis nach Kenia.

Obwohl der afrikanische Islam im Vergleich zur arabischen Variante toleranter und friedfertiger ist, gibt es auf dem Kontinent eine Reihe religiöser Unruheherde: Vor allem im Norden Nigerias, wo sich Muslime und Christen in den vergangenen zehn Jahren blutige Schlachten mit mehr als 10 000 Toten geliefert haben, zeigt der Islam ein anderes, hässlicheres Gesicht. Seit das islamische Recht, die Scharia, vor fünf Jahren in zwölf nigerianischen Bundesstaaten als Rechtsgrundlage eingeführt worden ist, kam es im Norden des Landes immer wieder zu pogromartigen Konflikten zwischen Christen und Muslimen, die Beobachter sogar als religiöse Säuberungen beschrieben haben.

Was wie ein Krieg der Religionen scheint, ist in Wirklichkeit der graduelle Zusammenbruch des Vielvölkerstaats Nigeria. Das mit rund 140 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Land Afrikas hat seit Jahren zwar eine gewählte Regierung aber keine staatlichen Institutionen, die die Konflikte der mehr als 250 Volksgruppen kanalisieren und entschärfen würden. In ihrer Not suchen die Menschen in der Religion Zuflucht, die dann oft als ein Feigenblatt für den Kampf um die begrenzten Ressourcen dient.

Auch hat der Islam einige Anziehungskraft für viele Afrikaner: Die Gemeinschaft steht vor dem Individuum, Polygamie wird geduldet und es gibt wie in den patriarchalisch geprägten afrikanischen Gesellschaften eine klare Aufteilung der Rolle von Frau und Mann. Zudem verspricht der Islam vor dem Hintergrund von Staatsverfall und Korruption Gerechtigkeit und Ordnung: Wer stiehlt, dem wird die Hand abgehackt, wer fremdgeht, wird gesteinigt, Alkohol oder Prostitution sind streng verboten. Oft können die drakonischen Strafen der Scharia die hohe Gewalt mindern. Dass die Urteile der islamischen Gerichte gegen die per Verfassung garantierte Religionsfreiheit und die gesetzlich verankerten Menschenrechte verstoßen, kümmert wenige.

Obwohl die Stimmen der islamischen Scharfmacher auch in anderen afrikanischen Ländern zuletzt lauter geworden sind, gibt es dennoch viele Beispiele für ein tolerantes Miteinander der Religionen. In Senegal wurde die zu 80 Prozent muslimische Bevölkerung jahrzehntelang von dem Katholiken Leopold Senghor regiert. Auch Mali, Burkina Faso oder Kamerun haben sich bislang allen Versuchen widersetzt, den liberalen afrikanischen Islam zu seinen strengen arabischen Wurzeln zurückzuführen.

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