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Politik: Schweigen mit Moskau

Gerhard Schröder will seinen Freund Wladimir Putin nicht mit Äußerungen zum Baltikum konfrontieren

Von Hans Monath

Berlin - Im Streit um die Besetzung des Baltikums durch die Sowjetunion bei Kriegsende will Bundeskanzler Schröder anders als US-Präsident George W. Bush und EU-Kommissar Günter Verheugen offenbar eine Debatte mit Russland über das Thema vermeiden. Bush hatte angekündigt, er werde anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes in Moskau mit Russlands Präsident Wladimir Putin über diese Besetzung sprechen. Er trifft am heutigen Samstag zudem mit den drei baltischen Staatschefs in Riga zusammen. Kanzler Schröder wird nach Angaben aus Regierungskreisen bei seinem Besuch in Moskau am 9. Mai das Thema nicht ansprechen. Vor der Feier sei lediglich ein kurzer Meinungsaustausch mit Putin geplant. Der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger forderte Schröder auf, bei seinem Besuch deutlich zu machen, dass das Kriegsende für weite Teile Osteuropas keine Befreiung bedeutet habe.

Russland vertritt die Meinung, die baltischen Staaten seien 1940 freiwillig der Sowjetunion beigetreten. EU-Kommissar Verheugen löste heftige Reaktionen aus, als er Anfang der Woche in Tallinn erklärte,„dass die baltischen Staaten besetzt waren“. Für die EU sei es wichtig, dass ihre Beziehungen zu Russland „auf Wahrheit gegründet sind“. Er werde dies beim EU-Russland-Gipfel am 10. Mai in Moskau ansprechen.

„Es ist seit Jahren die klare Haltung der Bundesregierung, dass Deutschland die Annexion des Baltikums nie völkerrechtlich anerkannt hat“, sagte ein Regierungssprecher am Freitag. Anders als sein Vorgänger Helmut Kohl habe Schröder im Jahr 2000 die drei baltischen Staaten besucht. Seine Position habe Schröder Ende März in einem Brief an die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga bekräftigt. Sie nimmt als einzige der drei Staatsoberhäupter von Estland, Lettland und Litauen an den Siegesfeiern in Moskau teil.

Er verstehe gut, „dass der 9. Mai in Ihrem Volk auch negative Erinnerungen wachruft“, schrieb Schröder und wies auf die deutsche „Mitverantwortung für das baltische Schicksal nach 1939“ hin. Für das Zusammenleben in Europa sei „die Auseinandersetzung jedes Volkes mit der Geschichte eine wichtige Voraussetzung“. Der Entschluss der Politikerin, an der Feier in Moskau teilzunehmen, verdiene „großen Respekt“.

Das Kriegsende ist auch Thema eines Interviews mit Schröder und Putin, das die „Bild“-Zeitung am Freitag auf zwei Seiten druckte. Der Kanzler erklärt darin, zum 8./9. Mai gehöre auch, dass das Kriegsende für viele Menschen nicht nur Befreiung bedeutet habe. „Das Datum steht auch für Vertreibung, für Flüchtlingselend und für neue Unfreiheit“, sagte Schröder, ohne Russland direkt anzusprechen. Den Beitrag der Westalliierten an der Befreiung erwähnt Schröder nur einmal, ohne eine Nation zu nennen.

Es sei richtig, dass Schröder nach Moskau fahre und den Anteil Russlands am Sieg über den Nationalsozialismus würdige, sagte der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger. „Er muss aber aufpassen, dass Putin dort nicht die Gelegenheit zu einer gigantischen Geschichtsklitterung erhält.“ Das Kriegsende sei der Beginn von „neuer, roter Diktatur über vier Jahrzehnte“. Nach Meinung Pflügers hätte Schröder „deutlicher machen müssen, dass die Niederringung des Nationalsozialismus ganz entscheidend auch von den Westalliierten geleistet wurde.“

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