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Politik: Sehen Sie Schwarz, Herr Zeller?

Der Berliner CDU-Chef erklärt, was Dörfer und Megastädte verbindet – und was seine Partei und die Grünen

Die Meinungsumfragen sehen die CDU als stärkste Partei in Berlin. Hat der Bundestrend Ihnen aufgeholfen oder sind das Berliner Verdienste Ihrer Partei?

Die Berliner CDU ist in den vergangenen sechs Monaten zur Sacharbeit zurückgekehrt, und wir füllen unsere Rolle als größte Oppositionspartei in der Auseinandersetzung mit der desaströsen Politik des WowereitSenats aus. Ich denke, dass die Wähler dies honorieren.

Trotz der unbekannten Gesichter der Berliner CDU?

Wir haben vermitteln können, dass wir eine neue CDU sind. 2001 und 2002 fiel der Landesverband eher durch Personalquerelen als durch inhaltliche Arbeit auf. Seit einem halben Jahr werden wir wieder als politische Alternative wahrgenommen und gesucht. Wir haben gezeigt, dass wir eine geschlossene Mannschaft sind und dass wir in der vollen Bandbreite der politischen Themen auch Personen haben, die Inhalte nach außen vermitteln können.

Wie werden Sie denn eher wahrgenommen: als Dorfschulze oder als Chef der Berliner CDU?

Staatliches Hauptamt und politisches Ehrenamt sind ja oftmals in einer Person verbunden. Wer Berlin-Mitte als Dorf bezeichnet, der kommt aus einer anderen Welt. In diesem Bezirk mit 320 000 Einwohnern findet sich alles, was Berlin derzeit ausmacht: glanzvolles Zentrum der Hauptstadt und auch das größte Sozialamt Deutschlands. Mitte hat auch den größten Ausländeranteil aller Bezirke mit schwierigen Integrationsfragen. In dieser Spannbreite bewegt sich die Kommunalpolitik. Das hat mit Dorf nichts zu tun, das ist Metropole. Wenn sich in ihrer Bezeichnung allerdings scherzhaft die Wertschätzung für eine bürgernahe Politik ausdrückt, kann ich damit leben.

Wenn Sie einerseits als Landesvorsitzender einer Großstadtpartei sprechen, andererseits als Bezirksbürgermeister: Wie kam es dazu, dass Sie den Umzug des Bundesnachrichtendienstes an die Chausseestraße in Mitte nicht wollten?

Ich bin sehr dafür, dass der Bundesnachrichtendienst mit all seinen Mitarbeitern nach Berlin kommt, und das möglichst schnell. Ich bin auch dafür, dass die noch in Bonn arbeitenden Ämter und Einrichtungen der Bundesregierung nach Berlin kommen. Berlin hat ja durch den Umzug von Parlament und Regierung viele nachgeordnete Bundeseinrichtungen verloren. Richtig ist, dass es für den Standort Chausseestraße gute Argumente gibt, ihn nicht von vornherein für die Ansiedlung des BND zu favorisieren.

Aber so wird Ihre Position nicht wahrgenommen. Eher so: Die Berliner wollen zwar alles, aber wenn dann jemand kommt, haben sie Einwände.

Das ist eben so nicht richtig. Ich meine: Wenn Hauptstadt, dann mit allen Funktionen.

Mitte als Großstadt: Was ist die erste Sorge, die die Einwohner von Berlin-Mitte bewegt?

Das was alle Berlinerinnen und Berliner bewegt: Sorge um den Arbeitsplatz und die Zukunftssicherung. Wir erleben weiterhin Arbeitsplatz-Abbau. Die jüngsten Wirtschaftsdaten gerade in Berlin zeigen nicht nach oben. Maßgeblich ein Ergebnis der Politik von Rot-Grün im Bund und Rot-Rot im Land, was die Menschen eher sorgenvoll in die Zukunft blicken lässt.

In einigen Teilen von Mitte wohnen besonders viele Ausländer und Migranten. Wie kommen Sie mit ihnen zurecht?

Wir werden die Probleme nicht innerhalb kurzer Zeit lösen können, wir müssen sie aber jetzt klar benennen und uns um Lösungen bemühen: Identitätsprobleme bei jungen Migranten, steigende Kriminalitätsentwicklung, Tendenzen, dass ganze Viertel sich abschotten, Parallelgesellschaften sich entwickeln. Wir haben jetzt drei Generationen von Zugewanderten. Wenn diese nicht langsam das Gefühl entwickeln und entwickeln können, dass sie zu unserer Gesellschaft gehören, dann werden sich Prozesse beschleunigen, die noch stärker als schon jetzt von Desintegration gekennzeichnet sein werden und die Möglichkeiten zur Beeinflussung dieser Bevölkerungsgruppen von außen erhöhen werden. Da ist über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte, etwas verschlafen worden – dementsprechend ist die Lage.

Hier leben jetzt Einwanderer, die kein Deutsch können und sich nicht darum kümmern, dass ihre Kinder Deutsch lernen. Wie wollen Sie die erreichen?

Das ist eine der Schlüsselfragen der Integration. Wer in unsere Stadt gekommen ist und hier seine Existenz für sich und seine Familie begründet, dem muss – wenn er es denn nicht freiwillig tut – auferlegt werden, dass er die deutsche Sprache lernt. Sonst stehen ihm und seinen Angehörigen die Chancen nicht offen, die unsere Gesellschaft bietet. Deswegen brauchen wir auch ein Gesetz, das die bislang ungesteuerte Zuwanderung klar regelt und Maßnahmen zur Integration fördert. Rot-Grün sollte hier endlich den Realitäten Rechnung tragen und sich nicht von überholten ideologischen Prämissen leiten lassen.

Sind Sie – wie laut Umfragen die Mehrheit der Deutschen und auch der CDU-Wähler – für den EU-Beitritt der Türkei?

Mit reinem Populismus und dem Schielen auf die Stimmen eingebürgerter türkischstämmiger Wähler, wie es derzeit der Bundesaußenminister und der Kanzler tun, sollte diesem Thema nicht begegnet werden. Hier stellt sich die Frage nach der Begrenzung Europas. Zunächst sollten wir sehen, wie sich die zehn neuen Beitrittsländer integrieren lassen, die ja aus einem uns näheren Kulturkreis kommen als die Türkei. Weitere europäische Beitrittskandidaten sind in Wartestellung. Das wird eine Riesenleistung sein, die die EU zu erbringen hat. Die Türkei hat noch einen weiten Weg der Demokratisierung zurückzulegen. Die kulturellen Unterschiede sind groß, und wie sich die Türkei in der islamischen Welt entwickelt, bleibt abzuwarten. Auch das Kurdenproblem sehe ich als nicht gelöst an. Ich bin aber dafür, dass die Türkei über Verträge mit der EU assoziiert wird.

Welche Aufgaben kann die Berliner CDU in der Bundespartei übernehmen?

Die letzte Bundestagswahl hat gezeigt, dass wir in den Großstädten und Ballungsräumen unterproportional abgeschnitten hatten, deswegen hat die Bundespartei einen Arbeitskreis „Große Städte“ unter Leitung von Jürgen Rüttgers eingerichtet, der meines Erachtens viel stärker auf die Berliner Erfahrungen zurückgreifen sollte. Unser Angebot für eine breitere Mitarbeit liegt vor, bis hin zur Empfehlung, den Berliner Verband als Modellverband in die Diskussion einzubringen. In Berlin erleben wir doch eine Zuspitzung der Probleme, die sich in anderen deutschen Landesteilen, besonders im Süden, so noch nicht abzeichnen.

Ihr Parteifreund Michael Glos hat dennoch vorgeschlagen, den Solidaritätszuschlag auszusetzen.

So lange der Solidaritätszuschlag für die Entwicklung im Osten Deutschlands – und da nehme ich Berlin dazu – verwandt wird, ist er notwendig. Und er wird noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte notwendig bleiben.

Berliner und Bundes-CDU konnten lange nicht viel miteinander anfangen. Sind die Beziehungen besser geworden, seitdem der Berliner Landesverband weniger Ärger macht?

Die CDU-Bundesgeschäftsstelle und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind nun in Berlin. Das sollte auch für die Arbeit im Landesverband stärker zum Tragen kommen. Ich hoffe, dass dies auch von der Bundespartei so gesehen wird. Früher gab es wohl die Tendenz in der Berliner Partei zu sagen: Wir sind uns selbst genug und kümmern uns vor allem um Berlin. Das können wir uns nicht mehr leisten. Es gibt eine Verantwortung der Berliner Union, sich in bundespolitische Debatten einzumischen, wie im Vorfeld des Leipziger Bundesparteitags auch geschehen – zumal vor dem Berliner Erfahrungshorizont: dass hier Entwicklungen stattfinden, die in anderen Teilen Deutschlands wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren zu spüren sein werden.

Sie sprechen von der Notwendigkeit der Sozialreformen. Aber sind die Berliner Verhältnisse nicht eher noch immer zu behütet, um zu behaupten, dass hier manches früher als im Rest der Republik passiere?

Berlin ist nicht mehr behütet, Berlin steht mittlerweile im Brennpunkt aller Reformdebatten. Natürlich gab es vor Beginn unserer Debatte über die Sozialsysteme auch Stimmen in der Partei, die sagten: viel zu kontrovers. Warum sollen wir das den Leuten zumuten? Ich meine: Die Menschen sind längst weiter als die Politik, und es ist Aufgabe von Politik, die unbequemen Themen anzupacken. Schließlich wird von der Politik auch die Lösungskompetenz erwartet.

Sind Sie denn dafür oder dagegen, dass sich Berlin von unrentablen Beteiligungen, zum Beispiel an Wohnungsbaugesellschaften, trennt?

Viele Landesbeteiligungen bringen dem Haushalt nur Verluste. Da ist es allemal besser, sie jetzt zu veräußern – auch wenn sie nicht mehr so viel Geld einbringen – als die Defizite durch den Landeshaushalt zu decken. Um Klarheit zu bekommen, müssen die Wohnungsbauunternehmen evaluiert werden. Andere Beteiligungen müssen einem ordentlichen Controlling unterworfen werden. Das sollte nicht in den Händen der Verwaltung liegen, sondern von erfahrenen Betriebswirtschaftlern gemacht werden. Es ist schon interessant zu sehen, wie die SPD den Verkauf der GSW zu Zeiten der Großen Koalition blockierte, als man damals ganz sicher mehr Geld für diese Gesellschaft bekommen hätte. Jetzt wird der Erlös viel geringer ausfallen.

Wie sehen Sie es für Berlin: Ist die CDU den Grünen näher als der FDP?

Die FDP hat sich als neoliberale Partei positioniert. Bei der CDU muss beides zusammenkommen: Wirtschaftsliberalität, die aber nicht von sozialen Aspekten abgekoppelt werden darf. Das sind wir uns als Volkspartei der Mitte schuldig. Mit den Grünen treffen wir uns in einigen Politikbereichen: Subsidiarität, Entstaatlichung, Entwicklung der Bürgergesellschaft, in der sich die Bürger eigenverantwortlich für das Gemeinwesen engagieren. Ansonsten steht jede Partei für ihr eigenes Profil.

Ist die Berliner CDU im Hinblick auf die Reformen voll auf der Linie Ihrer Bundesvorsitzenden Angela Merkel: für die Deregulierung bei den Sozialversicherungen und auf dem Arbeitsmarkt?

Ja, wir unterstützen sie grundsätzlich. Und wenn ich an die Regionalkonferenzen der Union zum Thema Sozialreformen erinnern darf, die vor dem Leipziger Bundesparteitag stattfanden: Die hier in Berlin hatte – was uns keiner zugetraut hätte – mit die meisten Teilnehmer. Mehr als 1200 Mitglieder und Nichtmitglieder kamen und diskutierten engagiert.

Was erhoffen Sie sich vom Vermittlungsausschuss?

Dass er zu Lösungen kommt, aber nicht um jeden Preis. Die Handschrift der CDU muss in den Kompromissformeln erkennbar sein. Wir brauchen mehr Flexibilität für die Wirtschaft und eine solide finanzierte Steuerreform. Die Ergebnisse dürfen auch nicht nur einseitig die noch besser gestellten Bundesländer berücksichtigen und insbesondere den Osten Deutschlands – Berlin eingeschlossen – noch weiter in die Schuldenfalle treiben.

Lassen Sie uns zum Schluss über die Möglichkeiten der CDU bei der Bundespräsidentenwahl sprechen.

Die CDU hat alle Chancen, den nächsten Bundespräsidenten zu stellen. Allerdings hat die Debatte über den Kandidaten noch nicht richtig begon nen.

Was ist mit Wolfgang Schäuble? Er hat bei der Abstimmung über den Parlaments- und Regierungssitz viel für Berlin getan hat. Später hat ihn die Berliner CDU als möglichen Regierenden Bürgermeister ins Gespräch gebracht und dann fallen lassen.

Ich schätze Wolfgang Schäuble als großen Staatsmann sehr. Und meiner Meinung nach hätte man ihn hier in Berlin in der damaligen Situation nicht in dieser Form als Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl ins Gespräch bringen dürfen.

Unterstützen Sie denn den Staatsmann Wolfgang Schäuble, wenn er seine Kandidatur für das Präsidentenamt erklärt?

Selbstverständlich, das sind wir Berliner Wolfgang Schäuble ob seiner Verdienste für die Wiedervereinigung und die Positionierung Berlins als Hauptstadt schuldig.

Das Gespräch führten Werner van Bebber, Lorenz Maroldt und Gerd Nowakowski. Die Fotos machte Mike Wolff.

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