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Politik: Sein dritter Weg

Von Moritz Schuller

Vor zehn Jahren wollte die britische Labour Party noch die Produktionsmittel des Landes verstaatlichen. Als New Labour steht die Partei nun vor dem dritten, historischen Wahlsieg in Folge. Dem Land geht es gut; die Wirtschaft wächst – ganz ohne den Euro; die Arbeitslosenzahlen sind eindrucksvoll gering. Und vermutlich wird die EUVerfassung nicht an Großbritannien scheitern, sondern an Frankreich. Kein Wunder also, dass die „Sun“, das populistische Kampfblatt, ihre Leser wieder auffordert, am kommenden Donnerstag für Labour zu stimmen.

Tony Blair, der vor zehn Jahren den Parteivorsitz übernahm, hat die konservative Opposition marginalisiert: Die Tories müssten die Zahl ihrer Abgeordnetensitze schon verdoppeln, um eine stabile Regierung bilden zu können; schwieriger noch, sie müssten das dort schaffen, wo sie historisch besonders schwach sind: in den Städten.

„New Labour“ wurde von Tony Blair zu einer erfolgreichen Regierungspartei gemacht, aus dem altmodischen Großbritannien wurde für ein Weile „Cool Britannia“. Doch anders als Margaret Thatcher hat es Tony Blair bisher nicht vermocht, dem Land seinen Stempel aufzudrücken. Als er 1997 an die Macht kam, versprach Blair noch eine „erneuerte Sozialdemokratie“. Doch diese sozialpolitische Revolution, der so genannte Dritte Weg, erschöpfte sich bisher im Durchsetzen des Mindestlohns und der Föderalisierung des Landes durch die schottischen und walisischen Landesparlamente. „Wir haben die Außenklos an den Schulen abgeschafft“, schreibt Blair im Wahlprogramm stolz, Krankenschwestern werden heute besser bezahlt, niemand muss mehr monatelang auf eine Operation warten. Diese Erfolge sind – angesichts der enorm angestiegenen Staatsausgaben in den vergangenen Jahren – vielleicht gering, aber vorzeigbar. Als Exportmodell für die Sozialdemokratien Europas verlor der Dritte Weg zu Recht bald an Reiz.

Dabei lebt das britische Wirtschaftswunder derzeit weniger von den Reformen Margaret Thatchers, wie so oft behauptet, als vielmehr von der geschickten, mal sparsamen, mal ausgabefreudigen Finanzpolitik des Schatzkanzlers Gordon Brown. Doch auch Brown, zu dessen Gunsten Blair angeblich nach einem Sieg auf die Macht verzichten will, würde diese Politik bei einem Sieg kaum ohne Steuererhöhungen fortsetzen können.

In Wahrheit ist Blairs politisches Schicksal seit dem Irakkrieg besiegelt: Das Missionarische, das den frömmsten Premier seit Königin Victoria stets umgibt, erscheint vielen Briten heute als verlogen und scheinheilig. Aus der jungen Lichtgestalt ist plötzlich ein amerikanischer Neokonservativer geworden. Lange lag Blairs Genie darin, neue Wählerschichten an Labour binden zu können. Seit dem Irakkrieg ist es damit vorbei. Sogar die eigenen Leute wählen ihn nur noch mit Bauchschmerzen. Dass, wie jetzt bekannt wurde, selbst enge Regierungsberater damals keine legale Grundlage für einen Einmarsch im Irak sahen, unterstreicht Blairs größtes Handicap in diesem Wahlkampf: die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Das Abenteuer Irak, von Blair in gewisser Weise als internationale Fortsetzung seiner Revolution überhöht, hat ihn schließlich fast sein gesamtes politisches Kapital gekostet.

Blair war angetreten, Großbritannien zu verändern. Bisher hat er in erster Linie Labour zu einer erfolgreichen Regierungspartei gemacht. Der dritte Weg könnte nach dem dritten Sieg schon bald heißen: ohne ihn.

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