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Serbiens neuer Außenminister war schon unter Tito im diplomatischen Dienst.

© AFP

Serbien: „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“

Serbiens Außenminister Ivan Mrkic über den Dialog mit dem Kosovo, das Kriegsverbrechertribunal und die Abwanderung von Roma.

Herr Mrkic, Sie treffen am Mittwoch den deutschen Außenminister, worum geht es bei dem Gespräch?

Es ist unser erstes Treffen, da geht es erst einmal darum, sich kennenzulernen. Allerdings waren wir beide gerade in Israel. Darüber werden wir uns sicher austauschen. Und natürlich wird Serbiens EU-Beitritt in Thema sein.

Von deutscher Seite dürfte auch der steigende Zuzug von Roma aus Serbien angesprochen werden. Wie wollen Sie dem begegnen?

Ich kann nur sagen, dass wir alles versucht haben, um die Ausreise von Roma zu verhindern. Aber das ist nicht leicht. Sie werden vom Lebensstandard und den hohen finanziellen Leistungen für Asylbewerber in Deutschland angelockt. Außerdem ist die Grenze zu Ungarn sehr durchlässig.

Unternehmen Sie auch etwas gegen die Diskriminierung von Roma in ihrem Land?

Roma werden bei uns nicht diskriminiert. Sie folgen nur ihrem eigenen Lebensstil. Dieses Problem gibt es nicht nur bei uns, auch das EU-Mitglied Rumänien hat diese Schwierigkeiten.

Viele Roma leben aber doch in Bretterverschlägen, wo es nicht einmal eine Heizung gibt.

Es gibt Roma, die sich entschieden haben, so zu leben. Wir haben mehrfach versucht, das zu ändern. Aber selbst, wenn man ihnen eine Unterkunft anbietet, gehen sie dorthin, wo sie mehr Geld bekommen.

Ihre Regierung wird von ehemaligen Gefolgsleuten Milosevics geführt. Spüren Sie Vorbehalte in Berlin oder Brüssel?

Ganz im Gegenteil. Die Reaktionen auf die neue Regierung waren sehr positiv, auch in Deutschland. In Brüssel herrscht ebenfalls ein sehr gutes Gesprächsklima, insbesondere mit Baroness Ashton, der EU-Außenbeauftragten. Wir hören immer wieder, dass unsere Regierung nicht einfach Dinge verspricht, die sie dann nicht einhält. Die frühere Regierung hat Zusagen im Dialog mit Pristina gemacht, die wir jetzt umsetzen. Das betrifft etwa die  Zusammenarbeit bei der Abwicklung des Übergangsverkehrs. Bis Dezember wird es nun erstmals Pilotprojekte an drei Übergängen geben.

Ihre Nachbarn, insbesondere Bosnien und Kroatien, sind allerdings verärgert über Äußerungen von Präsident Nikolic, der in einem Interview unter anderem gesagt hat, in Srebrenica habe es keinen Völkermord gegeben.

Ich möchte die Äußerung nicht kommentieren. Ich denke, es gab nach der Wahl einige Ängste, was die neue Regierung angeht. Inzwischen sind die Kontakte zu unseren Nachbarn aber sehr gut. Was die Beziehungen bedroht, ist das jüngste Urteil des Tribunals in Den Haag, das in der vergangenen Woche die Urteile gegen zwei kroatische Generäle aufgehoben hat. Diese Generäle sind für sehr viele serbische Opfer verantwortlich. Damit sind serbische Opfer zu Opfern zweiter Klasse degradiert worden. Opfer, über die man einfach hinweggehen kann. Selbst Serben, die über in den vergangenen Jahrzehnt für eine Zusammenarbeit mit dem Tribunal in Den Haag geworben haben, sind nun enttäuscht, um es diplomatisch auszudrücken. Das war offensichtlich eine politische Entscheidung.

Wer sollte das Gericht politisch beeinflussen?

Das wissen nur die Richter, die für die Entscheidung verantwortlich sind, das waren drei der fünf Richter. Die beiden, die gegen das Urteil waren, haben klar gesagt, dass dieses Urteil juristisch jeder Grundlage entbehrt.

Wenn Sie heute vor der Entscheidung stünden, Radko Mladic, der sich für Srebrenica in Den Haag verantworten muss, auszuliefern, würden Sie das tun?

Mit diesem Urteil wurde alles infrage gestellt. Es gibt keinen einzigen Kroaten aus Kroatien, der für Massaker an Serben büßen muss. Auf der anderen Seite stehen 50 Serben, darunter hochrangige Militärs, Polizisten und Geheimdienstleute, die insgesamt zu fast tausend Jahren Haft verurteilt wurden. Dieses Urteil hat viel von dem Vertrauen zerstört, das wir uns in der Region mühsam aufgebaut haben. Wir sind aber entschlossen, den Versöhnungsprozess fortzusetzen.

Wie wollen Sie die Beziehungen zum Kosovo verbessern?

Der von der EU moderierte Dialog zwischen uns und Pristina wird auf unsere Initiative hin nun auf höchster Ebene zwischen unserem Premierminister und der Führung in Pristina geführt. Diese Gespräche finden in einer konstruktiven Atmosphäre statt. Allerdings wurden bisher noch keine wirklich sensiblen Themen besprochen. Die sogenannten Kosovaren, die albanische Minderheit in Serbien, erwarten, dass sie alles bekommen, was sie wollen. Und sie werden darin unter anderem auch von Deutschland bestärkt. Wenn wir jedoch eine wirklich tragfähige Lösung wollen, dann muss sie für beide Seiten akzeptabel sein. Die Albaner haben ihren sogenannten Staat auf serbischem Territorium errichtet. Wir sind bereit, die Realitäten zu akzeptieren, doch das müssen sie ebenfalls tun.

Könnte Serbien die Unabhängigkeit akzeptieren, wenn es gleichzeitig einen Gebietstausch gibt?

Die Geschichte lehrt uns, dass bei politischen Verhandlungen alle Optionen auf dem Tisch liegen. Wenn die Parteien wirklich wollen, können sie eine Lösung finden. Die Rote Linie für uns wird allein durch unsere Verfassung gezogen. Wir wollen, dass die Kosovo-Albaner ein normales Leben führen können und haben kein Interesse daran, dass sie leiden.

Laut Ihrer Verfassung ist das Kosovo ein Teil Serbiens. Eine vollständige Unabhängigkeit würde das also ausschließen. 

Wir sollten in die Diskussion eintreten und sehen, welche Zukunftsvision Pristina hat. Die Albaner haben zwar starke Unterstützer, ohne eine Einigung kann ihr Staat aber kein Mitglied der Vereinten Nationen werden.

Wenn die EU eine Anerkennung des Kosovo zur Bedingung für einen Beitritt Serbiens macht?

Dann würden wir auf eine Mitgliedschaft verzichten.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

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