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Politik: "Serbien hat genug von Präsident Milosevic" - der serbische Bischof Artemije im Interview

Bischof Artemije ist serbisch-orthodoxer Bischof in Belgrad. Aus Protest gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrages fürs Kovoso ging seine Kirche im Juni auf Distanz zu Milosevic.

Bischof Artemije ist serbisch-orthodoxer Bischof in Belgrad. Aus Protest gegen die Unterzeichnung des Friedensvertrages fürs Kovoso ging seine Kirche im Juni auf Distanz zu Milosevic. Im Kosovo selbst kämpfen Vertreter der Kirche um das Überleben der bedrängten serbischen Minderheit: Die internationale Gemeinschaft habe im Kosovo ihre Verantwortung, Frieden zu schaffen, nicht wahrgenommen, kritisiert Artemije. Mit ihm sprach Stephan Israel.

Herr Bischof, Sie und Ihre Kirche kämpfen derzeit an zwei Fronten, im Kosovo gegen die Vertreibung der Serben und in Belgrad gegen das Milosevic-Regime. Wie sieht Ihre Bilanz zwei Monate nach Ankunft der Nato-Friedenstruppen im Kosovo aus?

Die internationalen Friedenstruppen haben nur den Albanern Freiheit gebracht. Die Fakten sprechen für sich: In den ersten zwei bis drei Wochen sind aus dem Kosovo über 150 000 Serben vertrieben worden. Über 200 Menschen wurden ermordet. Viele wurden halb totgeschlagen. Einige Hundert wurden gekidnappt. Viele Familien wurden aus ihren Wohnungen hinausgeworfen. Viele Wohnungen sind geplündert, und viele Häuser sind angezündet worden. Und alles das ist nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens und nach der Ankunft der internationalen Truppen geschehen.

Die internationale Gemeinschaft will die multiethnische Bevölkerung im Kosovo erhalten. Sind das nur leere Worte?

Leider hält der Prozess der Vertreibung der Serben aus dem Kosovo an. Diese Vertreibung erscheint systematisch und organisiert. Es wird versucht, alles zu zerstören, was zum geistigen und kulturellen Erbe der Serben im Kosovo gehört. In den zwei Monaten seit der Ankunft von Nato-Truppe und UNO sind über 40 Kirchen geplündert oder zerstört worden. Und viele dieser Kirchen stammen noch aus dem 14. Jahrhundert.

Kann oder will die internationale Gemeinschaft die Serben im Kosovo vor der Rache der Albaner nicht schützen?

Es gibt keinen Zweifel, dass die internationale Gemeinschaft sich bemüht, die Serben zu schützen. Das ist die eine Seite der Medaille. Ohne internationale Gemeinschaft gäbe es hier keinen einzigen Serben mehr. Die andere Seite der Medaille ist, dass viele Verbrechen geschehen und Serben vertrieben worden sind. Man kann nicht mehr von einem multiethnischen Kosovo reden. Das ist mit ein paar hundert oder ein paar tausend Serben nicht möglich. Das ist nur möglich, wenn wir die Voraussetzung schaffen, dass die vertriebenen Serben zurückkehren können. Ein Erfolg hängt einzig von der Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft ab. Im Kosovo ist mit der Nato die grösste Militärmacht der Welt vertreten. Ich glaube nicht, dass die Nato und die UNO diese Gewalttaten nicht stoppen könnten.

Vielleicht will die internationale Gemeinschaft den Exodus gar nicht stoppen, weil ein Kosovo ohne ethnische Konflikte einfacher zu verwalten ist?

Diese Schlussfolgerung müssen Sie ziehen. Ich kann jedenfalls nicht glauben, dass eine UCK die Nato besiegen kann.

Sie haben gesagt, die Vertreibungen geschehen systematisch und organisiert. Heißt das, dass die ethnische Säuberung offizielle Politik der Führung der Kosovo-Albaner ist?

Das kann auch ein Blinder sehen. Man kann nicht erwarten, dass aus einem Falke über Nacht eine Friedenstaube wird. Herr Thaci, Kommandant der UCK, der sich jetzt Regierungschef nennt, muss die Verantwortung übernehmen. Man kann nicht sagen, dass er davon nichts weiss. Hat die UCK irgendwo verhindert, dass Gewalttaten geschehen? Das Ziel ist offenbar, ein serbenfreies Kosovo zu erzielen, unter den Augen der Friedenssoldaten. Die internationale Gemeinschaft darf das nicht zulassen. Wenn es im Kosovo keine Serben mehr gibt, wird das die größte Niederlage für die Nato und die UNO sein. Sie sind nicht in der Lage, ihre eigenen Resolutionen zu implementieren.

Aber Slobodan Milosevic hat doch alles getan, um die serbische Minderheit als Stütze seines Apartheidstaates im Kosovo zu kompromittieren.

Die grosse Schuld von Milosevic ist der ganzen Welt bekannt. Wir haben uns so oft von der Milosevic-Politik distanziert und sie verurteilt. Aber die internationale Gemeinschaft erlaubt jetzt, dass die Repression eines undemokratischen Regimes unter dem Schutz von Friedenssoldaten aus westlichen Demokratien ihre Fortsetzung findet.

Serbiens orthodoxe Kirche hat den Bruch mit dem Milosevic-Regime vollzogen und sich auf die Seite der Opposition gestellt. Glauben Sie, dass die Demonstrationen zum erhofften Wechsel in Belgrad führen werden?

Diese Demonstrationen zeigen, dass Serbien genug von Präsident Milosevic hat, dass Serbien den demokratischen Wechsel möchte. Wir wollten das schon früher. Aber die internationale Gemeinschaft hat Milosevic indirekt immer wieder unterstützt und an der Macht gehalten. Das ist jetzt wieder so. Zweieinhalb Monate lang hat die Nato-Allianz Serbien bombardiert. Der Krieg richte sich nicht gegen das serbische Volk, sondern gegen das Belgrader Regime, hat sie immer wieder betont. Die Bombardierung ist zu Ende gegangen, und ein Friedensabkommen wurde unterschrieben. Milosevic hat sich danach zum Sieger erklärt, und er hat tatsächlich gewonnen. Milosevic wollte an der Macht bleiben, und dieses Ziel hat er erreicht. Wer sein Ziel erreicht, ist der Sieger.

War das nicht ein Phyrrussieg, hat Milosevic seine Macht nicht nur um ein paar Monate verlängert?

Da stellt sich wieder die Frage, was das Ziel der Luftangriffe war. Tatsache ist, dass Milosevic politisch überlebt hat. Die humanitäre Katastrophe ist durch die Luftangriffe um ein Mehrfaches verstärkt worden. Nach dem Ende der Bombardierung ist im Kosovo eine Repression an die Stelle einer anderen getreten. Eine Flüchtlingskolonne hat die andere abgelöst. Die einen Untaten werden mit den anderen gerechtfertigt. Ich möchte Sie fragen, inwiefern die Nato hier von einem Sieg reden kann? Es hat in Serbien viele Opfer gegeben. Die Industrie eines Volkes, das schon acht Jahre Sanktionen unterworfen ist, ist vernichtet worden. Und jetzt wird erwartet, dass ein von Sanktionen und Bomben geschwächtes Volk Milosevic von der Macht vertreibt.

Sie haben die schwierige Ausgangslage für Serbiens Opposition beschrieben. Denken Sie, dass unter diesen Voraussetzungen der Sturz des Regimes überhaupt möglich ist?

Wir arbeiten daran. Aber die internationale Gemeinschaft muss helfen. Wir als Kirche können Milosevic nicht mit Gewalt stürzen. Denn die Kirche hat immer Frieden und nie Blutvergießen gepredigt.

Aber Teile der orthodoxen Kirche haben Milosevic unterstütztWissen Sie, bei uns in der Kirche sind die Leute auch frei, wie bei Ihnen im Westen. Jeder kann diese oder jene Meinung haben. Aber er ist auch verantwortlich für das, was er sagt oder tut. Wir suchen in unserer Kirche keine Einheitsmeinung.

Doch noch einmal, wie könnte die internationale Gemeinschaft Serbien zu Hilfe kommen?

Die internationale Gemeinschaft hätte früh sehr viel tun können, wollte aber nicht. Man hat Milosevic zum einzigen Gesprächspartner gemacht und geglaubt, dass er ein Faktor der Stabilität ist. Als Präsident Serbiens hat er über das Schicksal der anderen Republiken entschieden. Als Präsident Jugoslawiens sprach er auch für Serbien. In der internationalen Gemeinschaft hat man immer geglaubt, dass Milosevic alles ausführt, was man von ihm erwartet. Aber die internationale Gemeinschaft trägt eine Verantwortung. Und ganz bestimmt für das, was jetzt im Kosovo passiert. Sie hat die Verantwortung übernommen, vor der Welt, der Geschichte und vor Gott, hier Frieden zu schaffen, und sie hat es nicht getan. Das Kosovo ist bald ohne Serben.

Herr Thaci, der UCK-Kommandant, der sich als Premierminister des Kosovo ausgibt, soll seine Macht einsetzen und diese Untaten stoppen. Von leeren Worten hat niemand etwas.

Herr Bischof[Sie], Ihre Kirche kämpfen der

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