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Politik: Sie muss das Ganze wollen

DIE UNION DANACH

Von StephanAndreas Casdorff

Angela Merkel als Maggie Thatcher der Gegenwart, nur ohne Handtasche – ist das nicht ein verführerisches Bild? Zumindest was die Durchsetzungskraft angeht, scheint ja auch wenig dagegen zu sprechen. Nach diesen Tagen! Frau führt, die Männer folgen, so sieht es aus. Aber so ist es nicht.

Edmund Stoiber, der Bayer, wirkte nur blass. In den Verhandlungen zur Vermittlung dessen, was Deutschland dringend braucht, war allerdings er es, der das Tempo und die Richtung vorgab. Merkel schloss auf, gemeinsam mit den CDU-Ministerpräsidenten. Oder anders gesagt: Stoiber ging hinein in alle Gespräche mit dem festen Willen, eine Steuersenkung mitzumachen. Das nennt man beim Militär „Führen von vorne“. Er hatte die Lage beurteilt, sich entschlossen – dann wird der Weg zum Ziel eine logische Ableitung. Mit seinem Diktum nämlich war die inhaltliche Linie der Union klar, von Anfang an. Wenn sie, wie beschworen, zusammenbleiben wollte. Der Rest, der war Merkels Werk. Meisterlich in ihrer Art, weil sie stets kühl nach Chancen des Ganzen und Gewicht des Einzelnen bewertet. Politik in Kilopond. Und das Ergebnis des Versuchs: Wieder einmal hat sie das Kräfteparallelogramm zu ihren Gunsten verschoben – in der Öffentlichkeit. Für diesen Augenblick.

Aber es kommen andere. Stoiber war hart, klar, instinktsicher. Das sagen auch die Unionsgranden, die Merkel gewogen sind, und Schröder sowieso. Was für die kommende Zeit von Bedeutung ist, denn im neuen Jahr wird es um die Zukunft der Union gehen, um die Richtung, in die sie marschieren soll – gemeinsam. Wie, das ist allerdings noch nicht ausgemacht.

Warum war Helmut Kohl, der erfolgreichste Parteiführer der deutschen Geschichte, so entschieden gegen Maggie Thatchers Kurs mit ihren britischen Torys? Weil ihn die Erfahrung lehrte: CDU und CSU sind immer dann erfolgreich, wenn sie wirtschaftliche Kompetenz mit dem Blick aufs Soziale verbinden. Dann gewinnen sie Wahlen und nicht nur Umfragen, wie Kohl spöttelte. So ist es heute noch, würde er sagen. Stoiber auch. Bei Merkel ist das nicht so sicher. Das haben die letzten Wochen gezeigt.

Unter Merkel sucht die CDU ihr Gleichgewicht. Die Umfragewerte täuschen: Die Schwäche der SPD ist die Stärke der Union. Beides korreliert, wie auf einer Waage. Wenn sich die Gewichte wieder verschieben sollten, wird deutlich werden, wie wichtig für die CDU ein Vorrat an Selbstverständlichkeiten ist. Die gesamte Union war ja immer mehr eine Gefühlsgemeinschaft als zwei Programmparteien, auf Ausgleich bedacht, immer in der politischen Mitte und damit nach allen Seiten vermittelnd, auf Sekundärtugenden geeicht, instinktiv konservativ, aber ihrer christlichen Tradition verpflichtet. Was bedeutet: dem Bürgertum Verbündete in der (konfessionell verwurzelten) Arbeiterschaft zu suchen.

Adenauer, Erhard, de Gasperi, Schumann, Kohl – sie alle wollten möglichst viele einbinden in eine effektive kapitalistische Wirtschaft. Katholische Soziallehre, evangelische Sozialethik waren eben nicht der Ausweis einer Sozialdemokratisierung der Union von CDU und CSU, sondern bewusst gewählter Unterschied zu einer reinen Wirtschafts- oder Arbeitnehmerpartei. So ist auch die CDU ein Klassen-, Interessen- und Ideenkompromiss geworden, politisch und moralisch gewollt. Die Torys unter Thatcher förderten dagegen einseitig den Individualismus – und zahlen dafür heute. Tony Blair ist der echtere Konservative.

Da wartet die inhaltliche Auseinandersetzung. Merkel bricht mit Kohl und seinen Lehren; mehr als der CDU lieb sein wird. Und der CSU. Denn Merkel sagt, nur als Beispiel, dass wir mehr für Deutschland tun sollen, aber nicht, dass wir mehr füreinander tun müssen. Das widerspricht dem Gefühl des Aufeinander-angewiesen-seins der Union, ist individualistischer und libertärer, kaum noch patriarchalisch-fürsorglich, weniger katholisch und auf Gemeinschaft orientiert. Kurz: Es ist, auf den Inhalt gesehen, wenig vom Erbe der Union.

Was den anderen Teil angeht, belegen die letzten Tage, dass die Union nach ihrem Selbstverständnis im Bund eine Regierungspartei ist – sie braucht jemanden mit dem Willen zur Macht. Merkel hat ihn, Stoiber auch. Erfolgreich wird auf Dauer nur sein, wer das Erbe als Ganzes annimmt.

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