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„Sie nutzt jede Schwäche“: Europol-Chefin sieht Organisierte Kriminalität auch für Deutschland als großes Problem
Europa werde derzeit mit Kokain geflutet, der Drogenhandel befeuere die Gewalt auch hierzulande, sagt De Bolle. Sie fordert mehr Mittel für die Polizei: „Sonst werden wir den Kampf verlieren.“
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Drogen- und Menschenhandel sowie immer mehr Einbrüche: Die Chefin der Europäischen Polizeibehörde (Europol), Catherine De Bolle, warnt vor der wachsenden Gefahr durch die Organisierte Kriminalität in Europa. Die Gewaltbereitschaft krimineller Netzwerke sei auch in Deutschland ein zunehmendes Problem, sagte De Bolle dem „Spiegel“. „Die Zahlen, die uns übermittelt werden, zeigen das deutlich“, so de Bolle. „Die Organisierte Kriminalität ist auf dem Vormarsch. Sie nutzt jede Schwäche.“
De Bolle weiter: „Mehr als zwei Drittel der kriminellen Netzwerke in der EU nutzen nach unseren Erkenntnissen Gewalt als festen Bestandteil ihrer Vorgehensweise.“
Befeuert werde die Gewalt vor allem vom boomenden Drogenhandel. In Süd- und Mittelamerika werde so viel Kokain produziert wie noch nie, der europäische Markt damit geflutet. „Die Lage ist dramatisch.“ Auch der Handel mit anderen Substanzen nehme zu, sagte De Bolle: „Die Banden und Kartelle fluten Europa aber nicht nur mit Kokain, sondern auch zunehmend mit synthetischen Stoffen wie Crystal Meth und sogenannten Zombie-Drogen.“
Es ist wie Marktforschung, ein Test. Das Ziel ist es, eine Droge zu etablieren – und dann räumlich zu expandieren.
Catherine De Bolle, Europol-Chefin
Dabei handele es sich um billige Stoffe wie Fentanyl oder Nitazene, künstliche Opioide, die bereits in kleinsten Dosen tödlich wirken können und Menschen im Rausch wie Zombies aussehen lassen, erläuterte die Europol-Chefin weiter. Nitazene seien bislang in Belgien, Frankreich, in den Niederlanden, Irland, Großbritannien und im Baltikum festgestellt worden. „Es gab bereits mehrere Todesfälle. Fentanyl haben wir auch schon in Deutschland registriert“, so De Bolle.
Zur Vorgehenswiese der Drogenmafia sagte die Juristin, die kriminellen Gruppen suchten sich eine kleine Stadt und böten neue Substanzen an. „Es ist wie Marktforschung, ein Test. Da die Drogen schnell abhängig machen, schafft man sich seine Kundschaft selbst. Ob jemand stirbt, ist egal, es wird ein anderer folgen. Das Ziel ist es, eine Droge zu etablieren – und dann räumlich zu expandieren.“
Immer mehr Menschen konsumierten Drogen, so De Bolle weiter, „quer durch alle Schichten“. Dies lasse sich durch Abwasseranalysen in Großstädten zeigen. „Das ist kein Problem, das die Polizei lösen kann. Es ist eine gigantische gesellschaftliche und gesundheitspolitische Aufgabe.“
Nach Untersuchungen der europäischen Polizeibehörde mit Sitz in Den Haag sind in der EU 821 schwerkriminelle Netzwerke aktiv. Diese Banden mit mehr als 25.000 Mitgliedern seien hochprofessionell und skrupellos, warnte Europol unlängst. Das Hauptgeschäft ist der Analyse zufolge der Drogenhandel.
Zudem sei sie wegen der Vermischung aus legalen und illegalen Geschäften alarmiert, sagte De Bolle: „Mehr als 80 Prozent der gefährlichsten kriminellen Netzwerke missbrauchen legale Unternehmensstrukturen, überwiegend in der EU. Das destabilisiert langfristig unsere Gesellschaft.“
Europol sieht Organisierte Kriminalität als große Gefahr für EU
Das Geld, das in Europa mit Drogen verdient werde, bleibe überwiegend auf dem Kontinent, werde in die hiesige Wirtschaft investiert und „vergiftet vor der Haustür unsere Gesellschaften“. De Bolle, die Europol seit 2018 leitet, sagte weiter: „Das macht die Organisierte Kriminalität zu einer der größten Gefahren unserer Zeit. Ich kann das gar nicht genug betonen.“
Die Polizei brauche technische Mittel, Befugnisse und Personal, um eine Chance im Kampf gegen die Mafia zu haben, so De Bolle. „Wenn wir nicht mehr investieren, werden wir diesen Kampf verlieren.“
Zuletzt hatte die Polizei zwei Personen aus dem Rauschgiftmilieu aus einem Kölner Wohnhaus befreit. Sie waren mutmaßlich von einer marokkanisch geprägten Mafiagruppe aus den Niederlanden entführt und gefoltert worden. Laufende Ermittlungen könne sie nicht kommentieren, so De Bolle zu dem Fall. Aber dass auch niederländische Gruppen grenzüberschreitend aktiv seien, sei bekannt.
Nach dem heftigen Konflikt zwischen deutschen und niederländischen Drogenbanden um vermutlich 300 Kilogramm Cannabis im Raum Köln warnt auch der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK) vor schweren Straftaten wie Sprengstoffattacken und Entführungen.
„Holland muss uns eine Mahnung sein“, sagte der nordrhein-westfälische BDK-Vorsitzende Oliver Huth der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. In den Niederlanden sind Explosionen vor Wohnungen oder Betrieben ein oft angewandtes Druckmittel von Drogenbanden.
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