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Politik: „Sind die Anständigen wachsam genug?“

Bundespräsident mahnt bei der Trauerfeier für Paul Spiegel mehr Engagement im Kampf gegen rechts an

Etliche Zaungäste lassen sich durch die zahlreichen Absperrgitter nicht schrecken. Von der anderen Straßenseite aus beobachten sie die vielen schwarzen Limousinen, die mit hoher Geschwindigkeit heranrauschen, für die das Stoppschild rasch beiseite geräumt wird und die dann auf den Eingangsbereich der Düsseldorfer Tonhalle zusteuern. Überall stehen jüngere Männer und Frauen in dunklen Anzügen, die an einer Stelle markant ausgebeult sind; wem dieses Detail entgangen sein sollte, kann die Knöpfe in Ohren nicht übersehen. Angesichts dieser Szenerie hat sich schnell herumgesprochen, dass die gesamte Staatsspitze zur offiziellen Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, in der Düsseldorfer Tonhalle erwartet wird.

Während es bei seiner Beerdigung vor gut drei Wochen familiär, in weiten Teilen sogar gelassen und erstaunlich heiter zuging, wiegen das Protokoll und die viele Sicherheit an diesem Sonntagnachmittag schwer. Die offiziellen Gäste werden wie bei einem Staatsempfang einzeln begrüßt. Charlotte Knobloch und Salomon Korn erwarten sie am Eingang: den Bundespräsidenten, die Kanzlerin, zahlreiche aktive und ehemalige Bundesminister und – bis auf die Linkspartei – die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien. Salomon Korn und Charlotte Knobloch lächeln jeweils gemeinsam mit den Gästen. Dass sie sich in einer Art verdeckten Wettbewerbs um die Nachfolge von Paul Spiegel befinden, spürt man in solchen Momenten nicht. Während sie ihrer Pflicht als Gastgeber nachgehen, wird freilich in der Wandelhalle des Gebäudes fleißig über die Nachfolge Spiegels spekuliert. Da die 30-Tage-Frist des Schweigens bald abläuft, lassen sich viele Gesprächspartner inzwischen Einschätzungen entlocken: demnach kann Salomon Korn nur noch Salomon Korn verhindern, wenn er das Amt wirklich ablehnen sollte. Ob für diesen Fall Charlotte Knobloch zum Zuge kommt, bezweifeln an diesem Mittag viele, für die sie ihre Ambition etwas zu deutlich gezeigt hat.

Selbst in der Trauerrede könnte man Belege dafür finden. Sie spricht als Erste nach dem Rabbiner und belässt es nicht dabei, die Anwesenden zu grüßen und an Paul Spiegel zu erinnern. Sie schlägt noch einmal den Bogen durch sein bewegtes Leben, die Flucht vor den Nazis und die Rückkehr nach Deutschland. „Wieder zu Hause?“ hatte Paul Spiegel seine Biografie noch zu Lebzeiten überschrieben, aber darauf bestanden, dass das Fragezeichen nicht vergessen wurde. „Wir haben den Hass erleben müssen“, ruft Charlotte Knobloch aus und zieht damit eine Parallele zwischen dem Verstorbenen und sich selbst; sie gehört ebenfalls der Generation an, die den Holocaust überlebt hat – was manch einer bis heute für wichtig erachtet, wenn der oder die neue Vorsitzende des Zentralrates der Juden gewählt wird. Charlotte Knobloch lässt es sich auch nicht nehmen, die jüngsten Attacken und die zunehmende rechte Gewalt anzusprechen.

Dem Bundespräsidenten bleibt diese Stimmungslage nicht verborgen. „Sind die Anständigen wachsam genug?“, fragt er in die Runde und lässt auch die beschämenden Beispiele für Ignoranz der Geschichte gegenüber nicht aus: „Bis heute gibt es all das: rechte Gewalt, Hakenkreuzschmierereien, Bewachung für die jüdischen Friedhöfe.“

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