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Politik: Sind die Wähler wählerischer geworden, Herr Müntefering?

Hat die Wahl in Sachsen-Anhalt nun den Rückenwind gebracht, den sich die SPD erhofft hatte?Ich will zunächst sagen, dass es nicht leicht fällt, vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse in Erfurt über den politischen Alltag zu sprechen.

Hat die Wahl in Sachsen-Anhalt nun den Rückenwind gebracht, den sich die SPD erhofft hatte?

Ich will zunächst sagen, dass es nicht leicht fällt, vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse in Erfurt über den politischen Alltag zu sprechen. Manche politische Aufgeregtheit schrumpft da zur Bagatelle. Aber Demokratie muss sich auch in solchen Situationen bewähren und versuchen, die richtigen Worte zu finden und das Richtige zu tun. Zur Sache selbst: Das Ergebnis der Wahl in Sachsen-Anhalt ist kein Rückenwind für die SPD im Bund. Im Gegenteil. Wir haben gehandelt und in diesen Tagen unser Wahlprogramm beschlossen.

Wie bewerten Sie die Wahl bundespolitisch?

Das hat keine Aussagekraft für das Ergebnis der Bundestagswahl im September. In den Umfrageergebnissen der nächsten Wochen wird das mit ein bis zwei Prozent weniger für uns zu Buche schlagen. Aber in drei Wochen haben wir das wieder ausgeglichen.

Wie kommt es, dass Politiker bei einem Wahlsieg im Land von großerbundespolitischer Bedeutung sprechen, aber bei Wahlniederlagen keine Verbindung sehen?

Die Wähler wissen da schon zu unterscheiden, und die Menschen entscheiden heute von Mal zu Mal. Es gibt weniger beständige Treue zu einer bestimmten Partei als früher.

Ist der Wähler wählerischer geworden?

Vielleicht liegt darin ja auch ein Stück mehr Demokratie. Einmal SPD-Wähler, immer SPD-Wähler - das gibt es heute seltener. Man muss jedes Mal um Stimmen werben.

Werden denn die Wähler im September der SPD die Treue halten?

Darum geht es jetzt im Wahlkampf. Und Gründe dafür gibt es.

Wie wollen Sie den Wähler überzeugen?

Wir machen deutlich, dass die Wahl wichtig ist. Es geht um die Frage, ob das Land weiter nach vorne oder ob es rückwärts geht. Das was wir vor vier Jahren begonnen haben, wollen wir weiterführen. Deshalb lautet unser Motto: Erneuerung und Zusammenhalt. Nicht festhalten an alten Strukturen, sondern das Land nach vorne bringen und dabei eine Gesellschaft mit sozialer Sicherheit entwickeln. Das ist anders als das, was bei der Union auf der Tagesordnung steht.

Wird die Wahl im Osten entschieden?

Wenn Stoiber in Sachsen-Anhalt kandidiert hätte, wäre es für die CDU nicht so gut gelaufen. Aber die Wahl wird nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, Norden und Süden entschieden. Deshalb ist bei uns jeder Wahlkreis ein Schwerpunktwahlkreis. Wir mobilisieren alle überall.

Sie haben nach Magdeburg gesagt, dass der Helm fester gebunden werden müsse. Welches Stahlgewitter fürchten Sie denn?

Wir müssen kämpfen. Es wird schon anstrengend werden.

Brauchen Sie den Helm eher für den Kampf nach außen oder für den nach innen?

Die Partei ist schon geschlossen. Aber nun geht es um die Bereitschaft zu einer großen Anstrengung: Unsere gute Bilanz vermitteln. Regieren wollen. Wer gewinnen will, muss gewinnen wollen. Jede und jeder können dazu beitragen.

Was ist schwieriger: die eigene Truppe zu motivieren oder die Wähler?

Die Parteimitglieder sind bereit, sich zu engagieren, wenn sie das nötige Material haben, mit dem sie arbeiten können.

Ist das neue Wahlprogramm genau das Futter, das sie brauchen?

Aber sicher. Es beschreibt die Ziele und viele konkrete Instrumente unserer Politik.

Aber muss das Wahlprogramm deshalb gleich langweilig sein?

Das ist es ja auch nicht. Unser Programm ist lesbar und gut. Aber man muss es auch wirklich lesen. Unsere Politik ist in drei Feldern genau beschrieben: die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt, die Sicherung des europäischen Sozialstaat-Modell, eine lebendige Demokratie und offene Kultur.

Am meisten ist aber von Schröder die Rede.

Das kann nur einer sagen, der bis zur dritten Seite gelesen hat. Dann stimmt es und ist auch angemessen.

Gut, wenn nicht am meisten, so doch am hervorstechendsten.

Gerhard Schröder ist für uns und das Land ein großes Pfund.

Als Schröder den Parteivorsitz übernahm, war das nicht Liebe auf den ersten Blick. Lafontaine galt als derjenige, der die Seele der Sozialdemokraten verkörperte. Was gibt Schröder der SPD heute?

Er hat uns modernisiert. Im Regieren muss man das Land und die Partei verändern.

Ein Crash-Kurs im Umgang mit der Realität?

So lange man in der Opposition ist, erspart man sich manchmal den letzten Rest Realität und beschreibt lieber, was man sich wünscht. Wenn man regiert, wird Politik sehr real. Da ist nicht immer Zeit dafür, alle Gremien einzuberufen. Da muss man entscheiden und führen.

Gehört dazu auch, im Programm zu schreiben, dass der Kanzler Spaß am Leben hat?

Wieso sollte man nicht sagen, dass er das Leben mag? Das ist doch besser, als wenn er Miesmacher wäre. Die Frage ist doch: Wer sind die Menschen an der Spitze? Und eine Stärke von Schröder ist, dass er ein offener Mensch ist, der mutig handelt.

Man könnte Ihr Programm auf die einfache Formel "Weiter so" bringen.

Das ist zu wenig. "Weiter so" unterstellt, dass es nicht weitergehen soll. Das ist strukturkonservativ. Das wollen wir nicht. Wir meinen: Weiter mit der Erneuerung.

Zum Beispiel?

Nach Alterssicherung, Haushaltskonsolidierung und Aufstockung der Mittel für Bildung und Forschung auch Erneuerung am Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen, Impulse für den Mittelstand und mehr.

Ist das typisch sozialdemokratisch?

Ja, das ist die Sozialdemokratie 2002. Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten.

Erträgt die moderne SPD Personenkult?

"Willy wählen" war bisher das Stärkste, was wir in Sachen Personalisierung gemacht haben. Dass unsere Spitzenpolitiker unterstützt werden, das ist nicht neu und selbstverständlich.

Mal angenommen, Schröder und die SPD verlieren die Bundestagswahl - wie geht es dann weiter mit der Sozialdemokratie?

Wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot. Aber der Himmel stürzt nicht ein. Wir gewinnen die Wahl.

Wie viel Prozent der Stimmen brauchen Sie für einen Wahlsieg?

Wenigstens 40,9 Prozent, wie letztes Mal.

Und wie viel Prozent bekommen die Grünen?

Die kommen in den Bundestag wieder rein, weil sie ein stabiles Wählerpotenzial haben, sofern die Wahlbeteiligung hoch ist.

Sie wollen nach dem 22. September mit den Grünen weiter regieren?

Wenn die Wähler das ermöglichen, ja.

Warum ziehen Sie dann nicht gemeinsam mit dem Koalitionspartner in den Wahlkampf, gemeinsam gegen Stoiber?

Weil wir zwei verschiedene Parteien sind. Es wäre auch taktisch unklug.

1980 ist ein solches Konzept aufgegangen. SPD und FDP gegen Strauß. Stoppt Strauß, hieß damals die Parole.

Wenn zwei Parteien jeweils für sich Menschen überzeugen können, dann bekommen sie insgesamt mehr Stimmen zusammen, als wenn sie Koalitions-Wahlkampf machen.

Stoppt Stoiber - wäre das nicht eine Erfolg versprechende Kampagne?

Natürlich wird man sich mit der Person Stoiber auseinandersetzen müssen. Es kommt aber darauf an, wie er sich selbst verhält.

Oh, wie gemein, dass Stoiber Ihnen nicht den Gefallen getan hat, nach rechts zu rücken.

Er ist ein Strukturkonservativer, ein Rechter - alles Pudern und Schminken hilft da nicht.

Sind Sie selbst auch konservativ?

Nur in dem Sinne, dass ich Werte für eine gute Sache halte. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind nicht vom Zeitgeist abhängig. Aber Stoiber repräsentiert diese Gesellschaft nicht. Das versucht er im Moment zu verstecken.

Wie sieht denn dann der wahre Stoiber aus?

Er hat eine große Fähigkeit, zu intrigieren. Denken Sie etwa an den Bundesrat. Da hat er alle von CDU und CSU bei der Zuwanderung in bayerische Gefangenschaft genommen. Das ist einer, der egoistisch, manchmal sogar separatistisch für Bayern gestritten hat. Einer, der während er durch den Osten reist, mit dem Risikostrukturausgleich gegen die Interessen dieser Menschen arbeitet.

Ist Stoiber ein Spalter?

Ja, in diesem Fall ist er ein Spalter, weil er nicht akzeptiert, dass es einen Ausgleich zwischen den ärmeren und reicheren Ländern geben muss. Bayern hat doch jahrzehntelang aus dem Topf des Länderfinanzausgleichs Geld bekommen. Als Stoiber kam, hat er sich ins Schmalzfass gesetzt. Jetzt verweigert er einen vernünftigen Finanzausgleich im Sinne der Länder, denen es schlechter geht.

Ist Stoiber gefährlich?

Er ist ungeeignet, das Land zu regieren.

Altkanzler Schmidt sieht das anders.

Auch Altersweisheit hat ihre Grenzen.

Ist es denn wenigstens weise, wie die SPD derzeit mit ihrem Kölner Spendenskandal umgeht?

Wir werden in der ersten Maihälfte wissen, wer diejenigen mit den gefälschten Spenderquittungen sind. Dann wird sich bestätigen, dass wir schneller aufklären und Konsequenzen ziehen als die Union.

Es gibt den Vorwurf, für die Aufklärung seien stalinistische Methoden angewandt worden.

Das ist Unsinn.

Das sagen aber Sozialdemokraten, die im Bundestag sitzen.

Das macht den Unsinn nicht wahrer.

Als der SPD-Generalsekretär vor dem Spenden-Untersuchungsausschuss aussagen musste, wusste er nichts von der Spender-Liste eines Wirtschaftsprüfers. So ernst meinen Sie es also mit der Aufklärung.

Darüber musste ich auch nichts wissen, weil die Zwischenerkenntnisse nicht belegt waren.

Ihre Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier hat nicht alle Informationen an Sie weitergegeben. Hat Ihre Parteigenossin Sie nicht im Regen stehen lassen?

Nein.

Aber Sie mussten sich dadurch dem Vorwurf aussetzen, die Unwahrheit gesagt zu haben.

Das war ein verleumderischer Vorwurf.

Wie wichtig ist Wahrheit in der Politik?

Wahrheit ist wichtig. Wahrheit bedeutet, dass man das, was man weiß, nict verfälscht vermittelt. Wahrheit bedeutet aber nicht, dass man alles, was man weiß, zu jedem Zeitpunkt sagt.

Das war der Fall, als Sie selbst Anfang 1998 vor Journalisten nicht korrekt über den Stand der Kanzlerkandidatenkür Auskunft gaben.

Dafür habe ich Buße getan.

Welche Buße haben Sie sich denn auferlegt?

Ich habe geschworen, dass ich den Journalisten beim nächsten Mal die richtigen Zeiten sage, wann der Kanzler nominiert wird.

Sie haben sich selbst einmal mit einem Vorstopper im Fußball verglichen, der Angriffe aufhält. Wären sie lieber ein Mittelfeldspieler, der dirigiert?

Auch als Vorstopper braucht man strategisches Gefühl. Im Team müssen alle Posten gut besetzt sein. Darauf kommt es an. Und wir sind gut aufgestellt. Auch vom Vorstopper kann die eine oder andere gute Flanke kommen. Es muss halt einer mitlaufen, der das Tor dann machen kann.

Gibt es einen aus der gegnerischen Mannschaft, den Sie gerne in Ihre Mannschaft holen würden?

Ja, aber das wären Leute für die Reservebank.

Hat die Wahl in Sachsen-Anhalt nun den Rücken

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